„Laut gedacht“ von Anne Deimel
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Oktober sind drei Stellungnahmen von uns im VBE NRW erarbeitet worden. In der ersten geht es um die Entwürfe zum 17. Schulrechtsänderungsgesetz sowie zur Siebten Verordnung zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I, in der zweiten um den
Haushalt für 2025 und in der dritten um geplante Änderungen in der Ausbildungsordnung Grundschule. Und ich kann nur sagen:
Ich habe die Vorlagen der Landesregierung gelesen, durchdacht und ich habe mir meine Meinung zu dem Dargelegten gebildet.
Mein Ergebnis: Ich werde nicht aufgeben.
Es gibt Änderungen, die notwendig und richtig sind, und es gibt Inhalte, die kaum nachvollziehbar sind. Um Einzelheiten geht es mir an dieser Stelle allerdings nicht. Es geht um das grundsätzliche politische Denken und Handeln, welches an bestimmten Passagen in den uns vorgelegten Texten zum Ausdruck kommt.
Ich möchte euch, anhand einzelner Beispiele, an meinem Blickwinkel teilhaben lassen. Die Landesregierung plant im 17. Schulrechtsänderungsgesetz, Realschulen bereits ab der Klasse 5 das Einrichten eines Hauptschulbildungsganges zu ermöglichen. Es gibt nur noch wenige Hauptschulen in NRW. Wenn Realschulen nun Kinder mit einer Hauptschulempfehlung aufnehmen, dann ist es aus Sicht der Landesregierung sinnvoll, diese Kinder bereits ab der Klasse 5 im Hauptschulbildungsgang zu unterrichten. – Der Haken? In NRW wechseln Kinder nach dem vierten Schuljahr zwar auf verschiedene weiterführende Schulformen, für alle gilt jedoch, dass die 5. und 6. Klasse als Erprobungsstufe geführt werden. Nach der Erprobungsstufe wird geschaut, ob die gewählte Schulform für ein Kind passend ist oder ob es dem Kind mehr entspricht, zu einer anderen Schulform zu wechseln.
Ich höre euch förmlich seufzen: Ja, aber … Ich stimme euch zu. In der Regel sind es die Realschulen und Gymnasien, von denen nach der Erprobungsstufe ein Wechsel stattfindet. Aufnehmende sind dann die Haupt-, Sekundar- und Gesamtschulen.
Diese Tatsache und alle mit dieser Situation verbundene Kritik ist berechtigterweise immer wieder Thema im VBE NRW, beispielsweise auch auf unserer diesjährigen Landeskonferenz.
Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Landesregierung „einfach mal so“ bestehende Regelungen außer Acht lässt und für eine bestimmte Kindergruppe die Erprobungsstufe sozusagen abschaffen will. Absicht? – Unkenntnis? Beides wären keine zufriedenstellenden Gründe, andere aber kommen mir nicht in den Sinn.
Kann sich denn irgendjemand vorstellen, dass Kinder, die mit einer Realschulempfehlung am Gymnasium angemeldet werden, sofort mit Beginn der 5. Klasse nach einem Realschulbildungsgang unterrichtet werden? – Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Fortbildungen sind für die Ausübung unserer Berufe sehr wichtig. Ob beispielsweise für Konzepterarbeitungen, neue Formen des Lernens oder den Umgang mit KI im Klassenraum – Schulen und Kollegien nehmen Fortbildungsangebote in der Regel gerne in Anspruch. Sie sind froh über qualitativ hochwertige Inputs von Außenstehenden, die sie in ihrer täglichen Arbeit unterstützen und ihre Arbeit weiterbringen. Alle in Schule Tätigen kennen es, wie darüber diskutiert wird, wer an welchem Tag zu welcher Fortbildung gehen darf, denn es gilt nach wie vor, dass die Stundentafel aufrechterhalten bleiben muss. – Nun steht da plötzlich im Entwurf für das 17. Schulrechtsänderungsgesetz: „Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann auch antragsunabhängig zur Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen verpflichten.“ – Ein Satz, der sofort kraftvoll Gedankengänge auslöst: Genau, da werden endlich mal die Lehrkräfte zu einer Fortbildung verpflichtet, die sich immer drücken. – Ich frage: Ist das wirklich so? Gibt es in unseren Schulen eine auffällige Zahl an Beschäftigten, die kein Interesse an Fortbildungen haben? Oder sind das vielleicht doch absolute Ausnahmefälle? Wurde das überhaupt mal eruiert? Und ist es nicht so, dass ein hoher Anteil der Fortbildungen an den Pädagogischen Tagen für das gesamte Kollegium oder Teilkollegien durchgeführt wird?
Eins ist auf jeden Fall sicher: Fortbildungen unter Zwang wären ein Widerspruch in sich. – Sollten einzelne Beschäftigte gegen ihren Willen zu Fortbildungen verpflichtet werden, welche Konsequenzen würden sich für alle Beteiligten daraus ergeben?
Es wäre voraussichtlich zielführender, wenn die Landesregierung ihr Bemühen darauf richtet, dass den Schulen interessante Fortbildungen gemäß ihren Bedarfen angeboten werden. Dann braucht niemand verpflichtet zu werden.
Sämtliche Aussagen zu den Haushaltsplanungen für 2025 sind geprägt durch den Hinweis, dass Bildung der einzige Bereich ist, an dem nicht gespart wird. Das stimmt oberflächlich gesehen. Beim genaueren Hinsehen macht diese Aussage jedoch nur deutlich, wie schlecht unser Schulsystem in NRW über Jahre aufgestellt war und noch immer ist. NRW liegt 900 Euro in den jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben je Schülerin bzw. je Schüler unter dem Bundesdurchschnitt.
Daher reicht das Geld weder für kleinere Klassen noch für ein geringeres Unterrichtsdeputat oder die notwendigen Besoldungs- bzw. Bezahlungsanhebungen der unterschiedlichen Professionen und Funktionsämter.
Wir hangeln uns in NRW mühsam Schritt(chen) für Schritt(chen) in Richtung eines einigermaßen gut aufgestellten Bildungssystems. – Dennoch: Nicht aufgeben!
Die geplanten Änderungen in der Ausbildungsordnung Grundschule sehen auf den ersten Blick minimal aus. Mich haben sie nach genauerem Hinsehen erschüttert. – Da wird mal eben der rechtlich grundgelegte Förderunterricht, auf den alle Kinder ein Anrecht haben, gestrichen. Weg ist er. Einfach so. Es gibt nun nur noch Hinweise auf die Möglichkeit und Wichtigkeit der inneren Differenzierung und das Fördern in äußerer Differenzierung, parallel zum Klassenunterricht. Dieses Fördern, bis zur Hälfte der Unterrichtszeit, bedarf, nicht zu vergessen, des vorherigen Einverständnisses der Eltern. –
Aus Sicht der Landesregierung passt das so. Aus meiner nicht. An vielen Schulen werden, sofern es überhaupt zu einer solchen Förderung kommt, folgende Fragen gestellt werden: 1. Welche der zu wenig vorhandenen Lehrkräfte soll die Förderung übernehmen? 2. In welchen Räumlichkeiten? –
Der Förderunterricht soll übrigens für zusätzlichen Fachunterricht in Deutsch und Mathematik weichen. – Ich denke, es wäre gut gewesen, vor einer Änderung in den Schulen nachzufragen, in welchen Fächern die Lehrkräfte die Kinder bisher gefördert haben. Vielleicht hätte die Landesregierung dann festgestellt, dass es sich hierbei zu fast 100 % um Inhalte der Fächer Deutsch und Mathematik handelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Schulen in NRW wird es enger. Nicht allein wegen fehlender Räumlichkeiten, fehlender Beschäftigter und zu großer Klassen. Immer mehr restriktive rechtliche Grundlagen greifen in die Arbeit der Schulgemeinschaften ein.
Wir wissen, dass wir Veränderungen in unserem Schulsystem brauchen:
• Die Kinder und Jugendlichen müssen mit ihren Bedürfnissen mehr in den Fokus. Viele von ihnen erleben einen Schulalltag, in dem zu wenig Zeit für sie selbst ist; Zeit, herauszufinden, wie Lernen gut für sie funktioniert. In der Regel sind Lerninhalte festgesetzt, ohne dass die Schülerinnen und Schüler „begreifen“ können, warum diese für sie selbst und ihr Leben wichtig sind. Lernen geht über Beziehungen, über Begeisterung für Fachinhalte und über Themenbereiche, die sie selbst mitbestimmen und mitgestalten können. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf gelebte Partizipation und auf Selbstwirksamkeitserfahrung. Sie brauchen die Erfahrung, dass es in der Schule um sie als Mensch geht. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Schülerinnen und Schüler eine positive Haltung zum Lernen entwickeln können. Wenn das gelingt, werden sich auch die entsprechenden Lernerfolge einstellen.
• Die Beschäftigten in den Schulen brauchen Schulleitungen, die ihnen vermitteln, wie wertvoll ihre Arbeit für die Kinder und Jugendlichen und für die Gesellschaft ist. Das bedeutet auch, dass sie bei ihren Ideen für Projekte etc. Unterstützung erfahren müssen. Sie benötigen eine Kultur der Ermöglichung im Rahmen des gemeinsam erarbeiteten Schulprogramms und Rückenstärkung, wenn notwendig.
• Um diese Freiräume für Schülerinnen, Schüler und Beschäftigte in den Schulen schaffen zu können, benötigen die Schulleitungen/ Schulleitungsteams ebenfalls die entsprechende Unterstützung. Diese beinhaltet nicht allein finanzielle, personelle und oft auch räumliche Ressourcen, sondern ebenso eine Schulaufsicht, die die einzelne Schule mit ihren Herausforderungen und Bedürfnissen sieht, dort ansetzt und passgenau unterstützt.
Erfolgreich wird unser Schulsystem durch starke Schülerinnen und Schüler, starke Beschäftigte und starke Schulleitungen/Schulleitungsteams.
Diese brauchen Vertrauen in ihr Tun! Vertrauen ist die Grundlage für ein tragendes Lernklima, für die Motivation aller Beschäftigten und gelebte Freude in allen Bereichen des Schullebens.
Der VBE NRW steht für die Schulen ein.
Der VBE NRW setzt sich für die notwendigen Rahmenbedingungen ein, für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr ausgebildetes Personal und für das, was die Schulen wirklich benötigen: mehr individuelle Unterstützung. Mehr Vertrauen.
Ihre
Anne Deimel
Vorsitzende VBE NRW
Starke Bildung. Starke Menschen.