Frei Day ist ein innovatives Lernkonzept, das Schülerinnen und Schülern ermöglicht, selbstbestimmt und zukunftsorientiert zu lernen. Mit Margret Rasfeld, Initiatorin des Frei Days und Schulleiterin im Ruhestand, sprach der VBE-Pressereferent Alexander Spelsberg.
Was genau ist denn der Frei Day?
Margret Rasfeld: Durch den Frei Day haben Kinder und Jugendliche die Freiheit, sich jede Woche mindestens vier Stunden mit aktuellen Herausforderungen und Zukunftsthemen auseinanderzusetzen. Dabei haben sie die Freiheit, zu wählen, womit sie sich beschäftigen. Das Curriculum für den Frei Day sind die 17 Nachhaltigkeitsziele, die noch nicht in den Lehrplänen in dem Maße verankert sind, wie es nötig wäre. Schülerinnen und Schüler eignen sich selbstständig Wissen an. Nicht die ganze Klasse macht dasselbe, sondern man findet sich in Interessensgruppen zusammen. Und jetzt kommt der Clou vom Frei Day. Kinder und Jugendliche suchen Probleme und entwickeln dafür Lösungen. Und diese Lösung setzen wir um. Lernen, die Welt zu verändern, ist das Ziel. Eine weitere Ebene des Frei Days ist der Aufbau von Netzwerken. Wir haben unglaublich viel Wissen in der Welt. Zum Beispiel verschüttetes Wissen bei Lehrerinnen und Lehrern über Leidenschaften, Ehrenamt, Engagement oder Kontakte, die sie haben. Den gleichen Schatz können wir bei den Eltern heben. Mit vier Stunden jede Woche wird plötzlich ein Raum eröffnet, der eine Zusammenarbeit mit Partnern ermöglicht. Schulen bauen ihre eigene Bildungslandschaft auf, die sich erweitert, sodass Lehrerinnen und Lehrer auch entlastet werden und die jungen Menschen viele Möglichkeiten haben, sich mit Experten und Expertinnen zu vernetzen, die wirklich viel Wissen haben und auch oft für ihr Thema brennen.
Sie haben es gerade angesprochen, dass Entlastungen entstehen können. Und ich kann mir gut vorstellen, dass aber die Belastung oft ein Thema ist, wenn Menschen versuchen, den Frei Day einzuführen.
Rasfeld: Ich erlebe, dass der Frei Day eigentlich ein Motivationsschub ist, er ist machbar. Ich war gestern an einer Schule, die den Frei Day schon eingeführt hat. Und die Lehrerinnen waren begeistert davon, wie motiviert die Kinder lernen. Die Lehrerinnen sollen sich nicht das Wissen aneignen, um es in die Schülerköpfe zu geben, sondern sie müssen loslassen und es ertragen, dass Schülerinnen sich selbst Wissen aneignen, das sie selbst vielleicht nicht haben. Meine Hoffnung ist, dass Lehrerinnen und Lehrer in eine neue Haltung gehen, nämlich in die Haltung des Lernprozessbegleiters. Wenn Schülerinnen und Schüler durch den Frei Day gelernt haben, selbstorganisiert zu handeln, dann können sie das nachher auch im normalen Unterricht. Es ist, glaube ich, nicht so sehr der Lehrermangel oder die Belastung ein Thema, sondern eher der Mut. Wir wissen aus dem Change-Management, dass es etwa 15% Early Adopter gibt, die, wenn sie etwas hören, was sie total anfixt, es sofort umsetzen und dann haben wir 25%, die finden das richtig gut, aber gucken erst mal, ob es bei den anderen klappt. Und die brauchen mehr Sicherheit. Die Sicherheit versuchen wir zu geben, indem wir regionale Netzwerke aufbauen, die von uns begleitet werden.
Wenn ich den Frei Day jetzt an meiner Schule umsetzen möchte, kann ich mich an Sie wenden?
Rasfeld: Genau. Es gibt die Webseite Frei-Day.org. Da findet man sehr, sehr viele Informationen, Material und Aufzeichnungen unserer digitalen Fortbildung. Da kann man sich in digitale Sprechstunden einklinken. Es wird erklärt, wie Schulen starten können. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist sehr bedeutsam und der Frei Day ist ein sehr gutes Tool zur Umsetzung von BNE und zum anderen ist der Frei Day ein sehr gutes Lernformat, damit Schülerinnen und Schüler Zuversicht, Selbstwirksamkeit und Sinn erleben. Und angesichts der katastrophalen Mental-Health-Lage, in der sie sich gerade befinden, ist natürlich die Förderung von Resilienz unglaublich wichtig.
Warum fördert so ein Lernformat sogar die mentale Gesundheit der Schülerinnen und Schüler?
Rasfeld: Wir leben in drei großen gesellschaftlichen Krisen. Das eine ist die klima-ökologische Krise, die andere ist die soziale Krise, die Schere geht immer weiter auseinander, und die dritte ist die Sinnkrise. 60 % bis 70 % der Kinder und Jugendlichen leben in massiven Zukunftsängsten. Wir haben im Moment 10 % bis 12 % Jugendliche, die suizidgefährdet sind. Suizid ist eine der häufigsten Todesursachen im Jugendalter. Das kann doch eine Gesellschaft nicht einfach so hinnehmen. Also die Frage war, wieso der Frei Day sich positiv auswirkt auf die Gesundheit, weil er eben sowohl Autonomie, Gestaltungsfreude und Gestaltungskraft mit der Erfahrung von Selbstwirksamkeit verbindet, weil sie die Welt verändern, weil sie etwas Dauerhaftes hinterlassen. Der Frei Day stärkt die Verbundenheit, hier sind die Lehrkräfte Unterstützungspersonen, die sie nicht benoten. Der Frei Day verbindet Selbstwirksamkeit mit Sinn. Das sind resilienzstärkende Faktoren. Der Frei Day ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, wie eine Brücke von der alten in die neue Lernkultur. Und der Frei Day ist an jeder Schule umsetzbar.
Das ausführliche Interview haben wir für Sie aufgezeichnet. Den VBE-Podcast „Bildung WERTschätzen“ hören Sie hier.
Margret Rasfeld bei der didacta
Margret Rasfeld hält am Donnerstag, 22. Februar, bei der Bildungsmesse didacta im VBE-Forum einen Vortrag mit dem Titel “Was wirklich zählt: Wertschätzung, Beziehung, Partizipation, Verantwortung, Sinn” (Halle 7.1, Stand-Nr.: B-050-C-051).
VBE-Mitglieder erhalten Tickets für die didacta zum Vorzugspreis von je 5 Euro.
Starke Bildung. Starke Menschen.