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Bildung darf nicht von der Postleitzahl abhängen

Interview mit Daniela Schneckenburger, Beigeordnete beim Deutschen Städtetag

Kommunen als zentrale Akteure im Bildungsbereich rücken zunehmend in den Fokus. Daniela Schneckenburger, Beigeordnete beim Deutschen Städtetag, spricht im Interview mit Schule heute über die Verantwortung der Städte für Bildung – weit über die Rolle des Schulträgers hinaus. Sie fordert verlässliche Rahmenbedingungen, eine echte Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe sowie einen klaren Plan für digitale Bildung. Dabei steht für sie eines im Mittelpunkt: Bildung als Menschenrecht – unabhängig vom Wohnort, der Herkunft oder den finanziellen Möglichkeiten einer Kommune.



Frau Schneckenburger, wie definieren Sie die kommunale Verantwortung im Bildungsbereich – wo beginnt sie, wo endet sie aus Ihrer Sicht?

Frau Schneckenburger,  wie definieren Sie die kommunale Verantwortung im Bildungsbereich – wo  beginnt sie, wo endet sie aus Ihrer Sicht?
Der Staat setzt die Leitplanken der schulischen Bildung, er schafft die gesetzlichen Grundlagen und stellt die Ressourcen für die Bildung im schulischen Bereich zur Verfügung, das ist die Aufgabe der Länder. Aber: Bildung findet immer auch an einem konkreten Ort statt – in einer Familie, in einem Quartier, in einer Stadt. Kinder wachsen in konkreten Situationen auf, die durch die Städte mitgestaltet und mitverantwortet werden. An dieser Schnittstelle sehen wir uns dann in der Verantwortung für kommunale Bildungslandschaften und für ein gutes Miteinander. Wir gestalten ja in einem sehr konkreten Sinn als Schulträger den Bildungsraum, indem wir Schulen bauen – wir tun dies aber auch in einem übertragenen Sinn, indem wir Bildungspartner in einem Netzwerk zusammenbringen.


Wie wichtig ist es für Sie persönlich – und für den Deutschen Städtetag insgesamt –, Bildung aktiv mitgestalten zu können?

Wie wichtig ist es für Sie persönlich – und für  den Deutschen Städtetag insgesamt –, Bildung aktiv mitgestalten zu können?
Die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern haben sich verändert. Also müssen wir uns als Partner des Aufwachsens mitändern. Das haben die Städte getan. Wir verstehen uns als aktive Partner in einer staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft. Und das ist auch mir wichtig. Wir wissen als Städte so viel über die Quartiere, in denen Kinder leben, über ihre Lebensbedingungen und ihre soziale Lage. Und wir arbeiten mit unseren Kräften an der Verbesserung der Lage von benachteiligten Kindern, z. B. mit den Möglichkeiten der Jugendhilfe und Sozialhilfe. Und wir arbeiten an der Integration vielgestaltig gewordener Stadtgesellschaften – das sind Kompetenzen, das sind Erfahrungen, die nicht verloren gehen dürfen, sondern in einem Netzwerk von Partnern Kindern zugutekommen müssen.



Inwieweit sehen Sie Kommunen als Bildungsakteure, nicht nur als Schulträger, sondern auch als strategische Partner in der Bildungslandschaft?

Inwieweit sehen Sie Kommunen als Bildungsakteure, nicht nur als Schulträger, sondern auch  als strategische Partner in der Bildungslandschaft?
Städte sind nicht nur die Facility-Manager des Bildungssystems. Unbestritten: Das sind wir auch. Aber wir haben den Anspruch, und auch die uns zugeschriebene Aufgabe als Schulträger, die Entwicklung des kommunalen Bildungssystems zu gestalten. Das fordert schon die von uns vorzunehmende Schulentwicklungsplanung. Aber es fordert auch der Blick auf das Zusammenleben in unseren Städten und damit auf die Frage, wie wir uns für die Zukunft gut aufstellen – wie wir Chancengerechtigkeit ermöglichen, wie wir Integration befördern, wie wir gute Orte zum Leben für Kinder und Familien schaffen. Bildung ist ein Menschenrecht, sie ist das Fundament der Demokratie. Wir sollten diesen Satz mehr denn je im Auge behalten. Und: Gut ausgebildete junge Menschen sind ein Unterpfand für die Zukunft einer Stadt. Das wissen auch die Unternehmen.



Welche Herausforderungen begegnen Kommunen derzeit besonders häufig bei der Wahrnehmung ihrer Bildungsaufgaben (Chancengleichheit, Digitalisierung, Integration)?

Welche Herausforderungen begegnen Kommunen derzeit besonders häufig bei der Wahrnehmung ihrer Bildungsaufgaben (Chancengleichheit,  Digitalisierung, Integration)?
Es ist vieles, was uns herausfordert. Natürlich das Geld – wir müssen in Schulbauten investieren, aber es fehlt die Investitionskraft der kommunalen Haushalte. Es fehlt nicht an guten Konzepten, aber manchmal neben dem Geld auch an Personal, um das Gute Tat werden zu lassen. Bei der Digitalisierung spüren wir schmerzhaft unsere Grenzen und die Schnittstellenproblematik in der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft. Es gibt, man mag es kaum glauben, kein geeintes Zielbild, keinen verabredeten Prozess in Deutschland zwischen den Bildungsebenen Ländern und Kommunen, um zu klären, was wir eigentlich brauchen für guten digitalen Unterricht. Wer legt mit uns zusammen – gemeinsam! – fest, über welche Kompetenzen Kinder auf welcher Kompetenzstufe verfügen sollen und welche technische Voraussetzung wir dafür bereitstellen sollten? Stattdessen gibt es eine Flickschusterei aus Förderprogrammen nach Kassen- und politischer Wetterlage, die hektische Umwidmung von Geldern in der Coronaphase, Länder, die mehr investieren, und Länder, die weniger investieren. Eine Verabredung zu einem nationalen Plan, nennen wir ihn „Digitalplan 2030“, bräuchten wir aber dringend, weil wir uns eben nicht alles werden leisten können – schon allein deswegen nicht, weil die Wartung digitaler Infrastruktur neben ihrer Beschaffung ein hoher Kostenfaktor ist. So viel Realitätssinn sollte doch sein. Also wäre ein Projektplan sinnvoll: Wie viel digitale Bildung, auf welcher Stufe, mit welchem staatlich finanzierten Angebot – und ggf. welchem Elternanteil ist wann sinnvoll und machbar? Wollen wir ein Roll-out digitaler Infrastruktur mit einem Zeit- und Stufenplan hinterlegen? Wo stehen wir als Bildungsstandort Deutschland da eigentlich im globalen Wettbewerb? Sind wir vorbereitet und bereiten wir vor auf die Durchdringung der Gesellschaft und ihrer Arbeitsorganisation mit KI? Und daraus wird am Ende natürlich auch eine Frage von Chancengerechtigkeit: Es darf doch keine Bildungsorte und keine Bildungschancen nach Kassenlage geben. Das können wir uns einfach nicht leisten. Und wo Sie das Stichwort der Integration aufrufen: Chancengerechtigkeit ist nicht nur ein Thema innerhalb der Stadtgrenzen. Die Bildungschancen eines Kindes dürfen nicht von der Postleitzahl abhängen – nicht von der Frage, ob das Kind in einer finanzstarken oder finanzschwachen Kommune aufwächst, und auch nicht davon, ob es sich um eine Stadt mit einem hohen oder niedrigeren Zuwanderungsanteil handelt. Ich bin froh: Mit dem Startchancen-Programm hat der Bund hier den richtigen Weg gewiesen. Das war ein notwendiger Schritt, das war ein guter Schritt auf dem Weg zu einer bildungsgerechten Gesellschaft.


Was brauchen Städte und Gemeinden, um ihre Verantwortung für Bildung besser wahrnehmen zu können – politisch, strukturell und/oder finanziell?

Was brauchen Städte und Gemeinden, um ihre  Verantwortung für Bildung besser wahrnehmen  zu können – politisch, strukturell und/oder finanziell?
Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, eine Dialogkultur auf Augenhöhe unter den Bildungspartnern, eine Regelfinanzierung für Regelaufgaben und eine finanziell gut ausgestattete und leicht administrierbare Förderarchitektur für Exploratives und Systeminnovation. Und wo wir schon beim Thema Geld sind: Die Städte haben ja bis auf die Gewerbesteuer keine eigenen Steuerquellen, sie werden durch die Länder finanziert. Wenn das Infrastrukturdefizit in den Kommunen, wie gerade vom KfW-Paneel wieder erhoben, auf fast 220 Mrd. Euro steigt, dann kann man doch sicher sein, dass die Schulen davon Zeugnis ablegen, genauso wie der Erhaltungsund Ausbauzustand der Sportstätten oder anderer öffentlicher Angebote im Bildungs- und Kulturbereich: Bibliotheken, Musikschulen, außerunterrichtliche Bildungsorte, die Ausstattung des Ganztages, der Angebote der offenen Jugendarbeit, der Spielflächen im öffentlichen Raum. Wollen wir das? Wenn nicht: Dann muss sich die Finanzausstattung der Städte wesentlich ändern.



Wie stellen Sie sich eine zukunftsfähige Bildungslandschaft vor, in der kommunale Mitgestaltung gestärkt wird – und welche Rolle spielt dabei die Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften?

Wie stellen Sie sich eine zukunftsfähige Bildungslandschaft vor, in der kommunale Mitgestaltung gestärkt wird – und welche Rolle spielt dabei  die Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften?
Mein Wunsch wäre: Wir wissen mehr über das Lebensumfeld der Kinder, über ihre soziale Lage, über ihre Belastungen – und wir finden eine gemeinsame Sprache zwischen den pädagogischen Fachkräften, um dieses Wissen so zu tauschen, damit es zum Wohle der Kinder zur Verfügung steht. Und damit pädagogische Fachkräfte einander auch beraten können. Und ein weiterer Wunsch wäre es, dass es uns besser gelingt, Kinder entlang ihrer Bildungsbiografie zu begleiten, früher einzugreifen, gezielter zu fördern, schneller zu erkennen, wo die Probleme liegen. Und dazu müsste auch gehören, dass wir die frühkindliche Bildung stärken. Jeder früh investierte Euro wirkt viel mehr als ein spät investierter, das wissen wir doch aus der Bildungsforschung. Es ist darum ein ermutigendes Signal, dass frühkindliche und schulische Bildung auf Bundesebene nun in einem Haus zusammengeführt sind. Auf Länderebene ist da der Weg oft noch weit.


Daniela Schneckenburger ist seit 2022 Beigeordnete für Bildung, Integration, Kultur, Sport und Gleichstellung beim Deutschen Städtetag/ Städtetag NRW.




Starke Bildung. Starke Menschen.

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