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Stellungnahme des VBE NRW zur Kernlehrplanentwicklung für das Fach Praktische Philosophie, schulformübergreifend in der Sek I

Fachbezogene Hinweise des VBE NRW

Der VBE begrüßt die frühe Form der Beteiligung.

Vorweg sei angemerkt, dass die Bedeutung des Faches Praktische Philosophie besonders vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen weiterhin zunimmt: In Zeiten von Fake-News, gesellschaftlicher Kontroversen und einer Polyvalenz zukunftsbedrohender Ereignisse werden Fragen aufgeworfen, die unter den Perspektiven der philosophischen Teildisziplinen betrachtet werden müssen.

Deswegen sollte dieses Fach flächendeckend alternativ zum Religionsunterricht ab der fünften Jahrgangsstufe angeboten werden. Hier besteht immer noch ein großer Handlungsbedarf – gerade auch in Hinsicht auf den Umstand, dass sogenannte Nebenfächer aktuell wegen des Lehrkräftemangels im Stundenplan nicht immer den Stellenwert erhalten und besitzen, der eigentlich geboten wäre.

Allgemein ist zu betonen, dass sich der bisher gültige Lehrplan in der Praxis bewährt hat, auch wenn die nähere Konzeption dieses Kernlehrplanes seit dessen Einführung eher solitär im Kontext der anderen Kernlehrpläne stand.
Die Inhalte des Kapitels „Aufgaben und Ziele des Faches“ im aktuell gültigen Kernlehrplan von 2008 sind entsprechend heute noch gültig, sollten in der anstehenden Überarbeitung aber analog zu den bereits überarbeiteten Kernlehrplänen gestaltet werden, wie etwa in Bezug auf die Querschnittsaufgaben. Deren Einbeziehung fällt hier sicherlich leicht, da die dort implizierte Fokussierung auf letztlich moralische Werte ein genuiner Gegenstand des Faches Praktische Philosophie ist. Umso wichtiger ist die explizite Einarbeitung dieser Aufgaben bis in die konkreten Kompetenzerwartungen, die in anderen Novellierungen nicht immer systematisch erfolgte.

Bei der Transformation des Kernlehrplans Praktische Philosophie in die Rahmensetzung aktueller Lehrpläne würde es sich empfehlen, die Fragenkreise den Inhaltsfeldern zuzuschlagen und den eher diskursiv-geprägten Methodenkanon (und auch die Aspekte der Progression) auf die Seite der Kompetenzbereiche zu sortieren.
Die drei zentralen Perspektiven des Faches Praktische Philosophie könnten dann eine zentrale Kategorie der übergreifenden fachlichen Kompetenzen darstellen.

Das basale Ziel bestünde aus Sicht des VBE NRW somit darin, die Grundanlage des Kernlehrplans von 2008 beizubehalten, um gleichsam den aktuellen Rahmenvorgaben zu entsprechen.

Änderungen, Streichungen und Ergänzungen im Bereich der Fragenkreise erscheinen in diesem Sinn nicht zielführend, weil diese Fragenkreise eben Teildisziplinen der Philosophie abbilden. Die Kategorisierung zeittypischer Phänomene, vom Genderdiskurs über den Klimawandel bis zur KI, wird mit dieser Struktur ebenfalls gewährleistet.

Im Bereich der fachbezogenen Kompetenzvorgaben sollte analog zu den Vorgaben der KMK der Aspekt des Digitalen stärker einfließen, gerade in Bezug auf Recherche, Kooperation und Präsentation – aber auch in Verknüpfung mit spezifischer Medienkompetenz: Da Epistemologie eine zentrale Disziplin der Philosophie ist und die Informationsaufbereitung im Internet Paradigmen der Erkenntnis verschiebt, kommt dem Fach hier eine besondere Rolle zu.

Im Bereich der fachlichen Inhalte wäre eine Ergänzung um zeitgenössische philosophische Strömungen bzw. Positionen wünschenswert. Diese werden tendenziell ausgeblendet, da sich der gesamte Philosophieunterricht daran ausrichtet, dass der historische Kanon im Vordergrund steht. Denkschulen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sind ebenfalls zu gering vertreten – zudem fällt auf, dass in Schulbüchern meist ein Fokus auf deutsche Philosophen gelegt wird. Ein lehrplanseitiger Rekurs auf die (internationale) Philosophie ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts böte die Chance, das Augenmerk stärker auf Philosophinnen wie Hannah Arendt, Martha C. Nussbaum und Judith Butler zu lenken, sodass hier mehr Gleichberechtigung Einzug erhalten könnte.

Ein abschließender Gedanke erwächst aus der Frage, ob die aktuelle und mittelfristig zu erwartende Krisenhaftigkeit des Zeitgeschehens nicht eine dezidiertere Rolle in der inhaltlichen Ausgestaltung des Kernlehrplanes spielen sollte. Durch die praktische Ausrichtung des Faches Praktische Philosophie, kann hier Philosophie als Lebenshilfe, mindestens aber als Lebenskunst, verstanden werden.

Ergo steht die Frage nach dem guten Leben eigentlich im Zentrum. Diese Frage ist 2008 nicht in den Fragekreisen abgebildet worden, wobei sie sich gewissermaßen als eine Art anthropologischer Konstante hinter diesen verbirgt. Analog zu diesem Vorgehen im Kernlehrplan von 2008 böte es sich an, auf der Ebene der konkreten Kompetenzerwartungen Aspekte zur Lebensführung in Zeiten des Umbruchs gewissermaßen als weitere Querschnittsaufgabe zu explizieren.

Anne Deimel und Stefan Behlau
Vorsitzende

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