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Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

Interview mit Prof.in Dr.in Ute Stoltenberg



Das Konzept „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ spielt in der Bildungslandschaft eine immer größere Rolle. Wir durften mit der renommierten Expertin Professorin Ute Stoltenberg über dessen Entwicklung und Potenziale sprechen.




Unter „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wird meist eine Bildung verstanden, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Inwieweit können Beschäftigte in Kitas und Schulen dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt verstehen und verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen treffen?

Unter „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wird meist eine Bildung verstanden, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Inwieweit können Beschäftigte in Kitas und Schulen dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt verstehen und verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen treffen?
In den letzten ca. 30 Jahren wurde weltweit das Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ entwickelt. Es zeigt auf, wie einerseits Bildungsprozesse und andererseits Bildungsinstitutionen als Lebens- und Lernorte gestaltet werden können, will man neue Sicht- und Denkweisen, Kompetenzen, Wissen und die Bereitschaft und den Mut, sich an einer offenen Zukunft zu beteiligen zu können, ermöglichen. Beschäftigte in Kitas und Schulen sind heute gefordert, sich an diesem Konzept zu orientieren, damit allen Menschen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht werden kann. Wichtig scheint mir, dass man ihre Frage nicht missversteht: Bildung für nachhaltige Entwicklung ermöglichen, ist mehr, als über einzelne Verhaltensweisen (z.B. Energienutzung) kritisch nachzudenken und sich dann (bspw. als „Energiedetektiv“) zu betätigen. Unter zukunftsfähig verstehen wir eine „nachhaltige Entwicklung“ – und das ist eine Entwicklung, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen soll, indem Menschenwürde und Gerechtigkeit zugleich mit dem Erhalt der Lebensprozesse und damit auch unserer Lebensgrundlagen verbunden werden. Das ist eine sehr große Herausforderung: Zusammenhänge, unsere Beziehungen zu Natur und anderen Menschen müssen erst einmal (wieder) verstanden werden – wir haben, um ein Beispiel zu nennen – fast vergessen, was Armut, gute Ernährung und Gesundheit u. a. mit dem Boden zu tun haben. Wir müssen verstehen, dass wir Teil der Natur sind, wir sie verantwortlich nutzen müssen, oder dass Vielfalt auf der Welt ein Reichtum an Wissen und Erfahrung ist, den wir erschließen sollten. Diese Sicht- und Denkweisen müssen in ihrer Bedeutung zum Thema gemacht und reflektiert werden. Inhaltliches Wissen sollte ausgehend von einer ernsthaften Frage- oder Problemstellung her erschlossen werden, im Zusammenhang mit ernsthaften Aufgaben. Fachliches Wissen kann sich dann als hilfreich erweisen. Dass isoliertes Fachwissen keinen Weg in die Zukunft weisen kann, ist eine besondere Herausforderung für Lehrende. Aber die Ziele und Aufgaben von Bildung für eine nachhaltige Entwicklung begründen auch, warum wir eine neue Lernkultur brauchen. Umdenken und neu denken sind auch hier gefordert. Motivation und Mut zu Veränderung entsteht durch Beteiligung an persönlich und gesellschaftlich sinnvollen Aufgaben, durch die Erfahrung selbstorganisierten, kollaborativen Lernens, unter Heranziehung von Wissen aus verschiedenen Fächern, Kinderwissen, Erfahrungswissen aus der Gesellschaft. Neue, verantwortliche Lösungen für Alltagsgestaltung und gesellschaftliches Zusammenleben sind auf die Förderung von Kreativität, von Risikoabschätzung, die Haltung des Abwägens und durch Ausprobieren angewiesen. Schon im Kindergarten kann man transformatives Denken lernen, wenn gefragt wird „Was wäre, wenn …“. Zusammengefasst ist meine Antwort auf Ihre Frage: Beschäftigte in Kita oder Schule können – orientiert am Konzept Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – sich selbst und den Kindern und Jugendlichen Sichtweisen, Wissen und Erfahrungen ermöglichen, die eine Weltorientierung im Sinne nachhaltiger Entwicklung erlaubt. Und die sie ggf. auch motivieren können, gemeinsam eigenes Handeln unter Nachhaltigkeitskriterien zu beurteilen und gemeinsam nach Lösungen oder Hindernissen zu suchen.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und dessen Ausgestaltung in Theorie und Praxis für unterschiedliche Bildungsbereiche. Wie bewerten Sie die Entwicklung in unseren Kitas und Schulen mit Blick auf die vergangenen 15 bis 20 Jahre?

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem  Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“  und dessen Ausgestaltung in Theorie und Praxis  für unterschiedliche Bildungsbereiche. Wie bewerten Sie die Entwicklung in unseren Kitas und Schulen mit Blick auf die vergangenen 15 bis 20 Jahre?
In den Kitas wurde das Konzept „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ mit großer Bereitschaft aufgenommen, auch wenn es vor 15 Jahren in den damals neu oder erstmals verabschiedeten Bildungsplänen so gut wie gar nicht vorkam. Aber es gab vor 15 Jahren erste breite Modellversuche, die auch die Chance beinhalteten, dass sich die PädagogInnen inhaltlich mit dem Konzept beschäftigen konnten und bei der Arbeit damit beraten wurden. Und es gab keine verbindlichen Rahmenpläne wie in der Schule, vielmehr eine große Nähe zu einer Werteorientierung und Raum für eine experimentelle Praxis – bei allen Problemen, die wir bis heute als hindernde Faktoren kennen wie mangelnde Vorbereitungszeit und Personalmangel. Inzwischen gibt es viele Kitas, die auch nicht nur Projekte zu Themen nachhaltiger Entwicklung durchführen, sondern ihre Einrichtung als Lern- und Lebensort für eine nachhaltige Entwicklung zu gestalten suchen. In der Schule gab es immer wieder einzelne LehrerInnen, die versuchten, ihren Unterricht an dem Konzept zu orientieren, oft ohne Unterstützung der Schulleitung – und trotz der staatlichen Vorgaben, die z. T. der Idee des Bildungskonzepts konträr gegenüberstanden (was leider auch heute noch unter vielen Aspekten gilt). Sehr wenige Pilotschulen zeigten, wie motivierend für Lehrende und Lernende die Arbeit auf der Grundlage des Konzepts sein kann. Lange wurde „Umweltbildung“ gleichgesetzt mit Bildung für nachhaltige Entwicklung. Engagierte Kollegien haben ihre „Umweltschule“ weiterentwickelt. Ein motivierender Ansatz in Schulen waren oft auch die Potenziale „globalen Lernens“. Die politische Unterstützung für Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schulen beschränkte sich lange auf programmatische Erklärungen in der Folge von Entwicklungen und Entscheidungen auf internationaler Ebene. Die Botschaft in Rahmenplänen beschränkte sich oft auf Formulierungen, die nahelegten, man könne Bildung für nachhaltige Entwicklung als „Thema“ in die vorhandene Schulstruktur einbeziehen. Der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017) gab Impulse, konkrete Veränderungen in den Schulen (und der Schulpolitik) einzuleiten. 2024 (!) hat die Kultusministerkonferenz (KMK) erstmals eine Empfehlung zur Orientierung an dem Bildungskonzept verabschiedet, das dem Anspruch des Konzepts gerecht wird. Damit kann nun auch ganz konkret in den Schulen gearbeitet werden. Sich zuspitzende Krisen einer nicht nachhaltigen Entwicklung, aber auch das offensichtliche Versagen des Bildungssystems, Lernmotivation über die Jahre zu erhalten, Schulabschlüsse zu ermöglichen, Schulzeit auch aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen als sinnvoll erfahrbar zu machen und zugleich der öffentliche Protest der Jugendlichen, das offensichtliche Interesse und viele konkrete Fragen von Kindern und Jugendlichen zu wichtigen Bereichen nachhaltiger Entwicklung und das Engagement vieler Nichtregierungsorganisationen sind heute wichtige Treiber, sich als Schule an dem Konzept zu orientieren. Unterricht, materielle Schulgestaltung, Schulleben und die Beziehung von Schule und Gemeinwesen im Zusammenhang zu sehen und nach der Rolle der Schule für eine nachhaltige Entwicklung zu fragen, hat in den letzten Jahren in den Schulen deutlich zugenommen. Zugleich sind die Schulen gefordert, die Digitalisierung voranzutreiben – ohne dass Nachhaltigkeitskriterien und Kriterien einer Bildung für nachhaltige Entwicklung dabei eine Rolle spielen.

Was braucht es, um Bildung für nachhaltige Entwicklung noch wirksamer in den Kitas und Schulen zu verankern?

Was braucht es, um Bildung für nachhaltige  Entwicklung noch wirksamer in den Kitas und  Schulen zu verankern?
Fort- und Weiterbildung! Die Kenntnis des Bildungskonzepts ist immer noch nicht selbstverständlich und wird angesichts des Legitimationsdrucks, sich daran zu beteiligen, nicht selten auch sehr individuell „interpretiert“. Weiterbildung ermöglichen, am besten für das ganze Team der Beschäftigten in der Kita bzw. Schule, ist zentral. Und dabei dafür sorgen, dass diese Weiterbildung als grundlegend und nicht als konkurrierend zu vielen – ebenfalls dringenden – Weiterbildungsbedarfen gesehen wird. Man wagt es ja kaum noch zu sagen. Aber LehrerInnenbildung und die Bildung der PädagogInnen in der Kita sollten sich ebenfalls an Bildung für nachhaltige Entwicklung orientieren und zum Thema machen, um damit auch künftig professionell arbeiten zu können. Ein immer noch deutliches Desiderat. Die Bildungseinrichtungen brauchen mehr Unterstützung (und das heißt auch Geld), um ihre Einrichtung so gestalten zu können, dass sie ein Erfahrungs- und Lernort für eine nachhaltige Entwicklung sein kann. Dazu gehören räumliche Bedingungen, Fragen der Ausstattung und Beschaffung, nicht zuletzt die Frage der Verpflegung. Die Zusammenarbeit im Gemeinwesen kann hier Potenziale heben.

Fünf Schulen wurden am 8. November mit dem DSLK-Schulpreis „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet, in dessen Rahmen Sie als Jurymitglied tätig sind. Welche Bedeutung schreiben Sie diesem und vergleichbaren Preisen zu?

Fünf Schulen wurden am 8. November mit dem  DSLK-Schulpreis „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet, in dessen Rahmen Sie als  Jurymitglied tätig sind. Welche Bedeutung schreiben Sie diesem und vergleichbaren Preisen zu?
Stoltenberg: Der Preis ist Anerkennung und Bestätigung innovativer, gesellschaftlich verantwortungsvoller Arbeit für die Ausgezeichneten – und das Preisgeld ist eine willkommene Unterstützung, für vieles, was noch nicht als selbstverständlich gilt. Preise wie diese oder Auszeichnungsverfahren helfen deutlich zu machen, dass Veränderung geht und zeigen die Bedingungen dafür auf: Kenntnis des Bildungskonzepts, ein engagiertes Kollegium mit einer Kita- bzw. Schulleitung, die sich als verantwortlich für den Entwicklungsprozess der Einrichtung im Sinne nachhaltiger Entwicklung sieht, Einbeziehung der Sichtweisen und des Wissens aller Mitglieder der Kita bzw. Schule. Kooperation mit externen Partnerinnen und Partnern werden als Ermöglichung eines Unterrichts sichtbar, der Expertenwissen, gesellschaftliches Wissen und die damit verbundenen Perspektiven einbezieht. Sie ist auch Schlüssel, um Erfahrungen mit Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne nachhaltiger Entwicklung machen zu können. Der Preis fördert zudem das Verständnis, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung sich nicht durch einzelne Projekte auszeichnet, sondern durch einen ganzheitlichen Ansatz von Schulentwicklung, unter breiter Partizipation aller Mitglieder der Schule und dass eine derartige Arbeit zu hoher und anhaltender Motivation von Lehrpersonen und Kindern und Jugendlichen führen kann.






Das Interview führte Dipl.-Päd. Robert Lachner, Vorstandreferent des VBE NRW.

Prof.in Dr.in Ute Stoltenberg (*1948) ist eine international anerkannte Wissenschaftlerin der Leuphana Universität Lüneburg, die das Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ entscheidend mitentwickelt hat. Seit 1995 lehrte und forschte sie in der LehrerInnenbildung (Sachunterricht und seine Didaktik). Seit 2010 hatte sie die Professur „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ inne, seit 2014 die Seniorprofessur für Nachhaltigkeitsforschung. Derzeit engagiert sie sich für verschiedene In-stitutionen und Initiativen. www.utestoltenberg.de





Starke Bildung. Starke Menschen.

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