Für eine gewaltfreie Schulkultur – Prävention stärken, Schulen unterstützen (Drucksache 18/13161)
Anhörung des Ausschusses für Schule und Bildung am 08. Juli 2025
Sehr geehrter Herr Kuper,
für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum oben genannten Antrag danken wir Ihnen und nehmen diese gerne wahr.
Der vorliegende Antrag der Fraktion der FDP greift zentrale Ergebnisse der aktuellen VBE-Schulleitungsumfrage „Die Schule aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter. Gewalt an der Schule und gegen Lehrkräfte“ auf.
Allein hierdurch wird deutlich, dass die Thematik des vorliegenden Antrages aus Sicht des VBE NRW höchste Dringlichkeit besitzt. Die Schulen als wesentliche Institutionen unserer Gesellschaft spiegeln wider, was in dieser geschieht. Die Zunahme von Gewaltfällen in verschiedenster Form ist besorgniserregend. Für alle Kinder und Jugendlichen und Beschäftigten muss gewährleistet sein, dass die Landesregierung alles Notwendige tut, damit Schulen sichere Orte des gemeinsamen Lernens und Lebens sind.
Zu den vorhandenen Maßnahmen der Landesregierung macht die Fraktion der FDP nun
weitere Vorschläge, die der VBE NRW im Folgenden einordnet.
Eine deutliche Erhöhung der Fortbildungsbudgets zur Gewaltprävention ist dringend notwendig. Vor allen Dingen kleineren Schulen ist es in der Regel nur einmal im Schuljahr möglich, einen Drittanbieter zu buchen. Demzufolge fehlen im Bereich der Gewaltprävention kostenlose und hochwertige staatliche Angebote, abgesehen von den Präventionsmodulen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Fortbildungen leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Schulleitungen und Beschäftigte handlungssicher im Umgang mit gewaltrelevanten Situationen werden.
Dabei müssen den Schulen Fortbildungen zur Verfügung stehen, die einerseits die Prävention und andererseits auch das rechtssichere Handeln in Grenzsituationen im Fokus haben. Ebenso ist es wesentlich, dass die entsprechenden Fortbildungen spiralförmig aufeinander aufbauend erfolgen, so dass Wiederholungen und Übungen den Teilnehmenden Sicherheit geben, falls eine Situation mit Gewaltanwendung auftritt.
Die bisher durch den Dienstherrn getroffenen Hilfsmaßnahmen, wie beispielsweise der Leitfaden „Sicher handeln bei Gewalterfahrungen von Beschäftigten in Schulen“ und Notfallordner sind anzuerkennen, reichen jedoch gerade in Akutsituationen nicht aus. Besonders der Notfallordner „Hinsehen und Handeln“ ist aus Sicht des VBE NRW ein wichtiges Hilfsmittel in
Krisenfällen an den Schulen in NRW. Regelmäßige Schulungen für alle an Schulen Tätige begrüßt der VBE NRW.
Ein Ausbau der Schulsozialarbeit (auf Landesstellen) ist eine langjährige Forderung des VBE NRW. Daher begrüßen wir die im Antrag genannte Forderung, die Schulsozialarbeit personell und finanziell zu stärken, um ihre präventive Wirkung weiter auszubauen. Schulsozialarbeit alleine reicht jedoch zur umfassenden Gewaltprävention nicht aus. Jede Schule braucht
zusätzlich ein gut aufgestelltes multiprofessionelles Team, das psychologische Beratung
einschließt, und eine gute Ausstattung mit Fachkräften, um das Lernen in kleineren Gruppen zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass die verschiedenen Berufsgruppen in Schule
professionsspezifisch arbeiten können.
Die Ausweitung der personellen und finanziellen Ausstattung der Jugendhilfe als eine tragende Säule der Präventionsstrategie ist zu befürworten. Eine sich gegenseitig stützende Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schulsozialarbeit im Sinne der präventiven Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist wichtig. Auf der einen Seite benötigen gefährdete Kinder und Jugendliche ein stabiles soziales Netz, um nicht in eine Gewaltspirale zu geraten, auf der anderen Seite müssen Kindern und Jugendlichen, die bereits straffällig geworden sind, gesellschaftliche
Ankerpunkte angeboten werden, durch die sie Perspektiven gewinnen können.
Musterhausordnungen, die den Schulgemeinschaften als beispielgebende Grundlage dienen können, wären sicherlich eine Möglichkeit zur Unterstützung und zielgerichteten Evaluation. Die Forderung nach der Schaffung rechtlicher Klarheiten und Präzisierungen zu Waffen und unerwünschten Gegenständen in Schulen begrüßt der VBE NRW.
Eine „Null-Toleranz-Strategie“ gegenüber der Ausübung von Gewalt ist notwendig. Eine solche beinhaltet eine klare Haltung aller Beteiligten. Insbesondere die Schulaufsicht ist hier
gefordert, die Schulen rechtssicher zu beraten, ihnen Rückendeckung zu geben und Entscheidungen, wie beispielsweise Ordnungsmaßnahmen mitzutragen. Zu diesem Zweck sollte
darüber nachgedacht werden, an den Bezirksregierungen spezielle Expertise- und Beratungsstellen einzurichten, um Schulleitungen und Schulgemeinschaften bei Bedarf zielgerichtet und effektiv, kooperativ und fallspezifisch unterstützen zu können (vgl. im Antrag „Kriseninterventionsteams“). Dieser Personenkreis sollte fachlich und psychologisch geschult sein.
Dennoch weist der VBE NRW darauf hin, dass es auch notwendig ist, jeden Gewaltvorfall differenziert zu analysieren, um ggf. zu erkennen, an welcher Stelle im Vorfeld noch ein positiver Einfluss möglich gewesen wäre. Wir haben als Gesellschaft diese Aufgabe und können uns nicht wegducken.
Aus Sicht des VBE NRW ist es vonnöten, die Krisenteams in den Schulen zu stärken. Räumliche und digitale Ressourcen für die Arbeit der Krisenteams sind beispielsweise auszubauen.
Unsere Gesellschaft und demzufolge auch unsere Schulen sind sowohl für die Opfer als auch für die Täterinnen und Täter verantwortlich, jeweils auf unterschiedliche Weise. An erster Stelle muss der Opferschutz stehen.
Opfer benötigen sowohl feste Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner in der Schule als auch eine verlässliche durchgehende psychologische Begleitung.
Kinder und Jugendliche, gegen die als Täterinnen oder Täter eine Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wurde, brauchen ebenfalls feste Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner und pädagogische Betreuung. Bei Intensivtäterinnen und -tätern muss auch die kommunale Unterstützungsstruktur greifen, die, falls nötig, ausgebaut werden muss. Verpflichtende Angebote außerhalb der Schulen müssen eingerichtet werden, beispielsweise sind hier Berufs- und Ausbildungsprojekte zu nennen oder auch Präventionsworkshops. Wichtig ist, dass es Angebote für Kinder und Jugendliche sind, je nach ihrem Alter.
Der VBE NRW betont jedoch, dass wir als Gesellschaft keine Kinder bzw. Jugendlichen zu früh aufgeben dürfen, auch wenn sie durch Taten mit Gewaltanwendung aufgetreten sind. Jeder Fall muss als Einzelfall unter verschiedenen Perspektiven betrachtet und analysiert werden.
Schulen benötigen feste Ansprechpersonen aus dem Bereich der kommunalen Jugendhilfe. Es ist erforderlich, gefährdete Schülerinnen und Schüler frühzeitig zu erkennen, zu unterstützen und sie in einem kommunalen Netzwerk durch präventive Maßnahmen aufzufangen. Weiterhin sind hier mit der jeweiligen Schule abgestimmte Unterstützungsangebote zu nennen. Aus Sicht des VBE NRW ist es hierfür sinnvoll, grundlegende Standards vorzugeben, die vor Ort spezifiziert werden können.
Der VBE NRW begrüßt die Forderung nach der Unterstützung der Schulen, eigene Mediations- und Deeskalationsprogramme in Kooperation mit externen Fachkräften auszubauen. Dies betrifft vor allen Dingen die nachhaltige Umsetzung. An vielen Schulen finden bereits solche Projekte statt, häufig jedoch nur zeitlich begrenzt. Es ist dringend notwendig, dass das soziale Lernen seinen festen Platz in jeder Jahrgangsstufe erhält. Das Trainieren von
beispielsweise Deeskalation, Streittraining oder interkultureller Kompetenz braucht ebenso seine Zeit wie Unterrichtsgespräche über die Menschenwürde, das Einüben eines respektvollen Umgangs miteinander oder die soziale Verantwortung des Einzelnen und der Gruppe.
Der Runderlass „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ regelt die enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Polizei. Leider fehlen jedoch auch bei der Polizei ausreichend Fachkräfte, die allzu oft die Voraussetzung für eine intensive Kooperation mit Schulen sind. Sicherlich wäre es auch eine Anregung, über eine engere Zusammenarbeit beispielsweise mit der Feuerwehr nachzudenken. Es muss demzufolge über andere methodische Möglichkeiten nachgedacht werden, um die wichtige Aufgabe der Einsatzkräfte und der Rettungsdienste Kindern und Jugendlichen nahezubringen.
Dem VBE NRW ist es wichtig, auf ein Spezifikum hinzuweisen. Im vorliegenden Antrag wird allgemein von den Schulen gesprochen, was dem Rahmen des Antrages auch entspricht.
Aus Sicht des VBE NRW ist es jedoch wichtig, gerade bei dieser Thematik den Fokus auch auf einzelne Schulformen zu richten, die im Verhältnis mehr Gewaltvorfälle aufweisen und für die demnach eine besondere Unterstützung erforderlich ist.
So ist es wichtig, in diesem Zusammenhang deutlich zu machen, dass die besonderen Herausforderungen der Förderschulen und Klinikschulen besonderer Berücksichtigung bedürfen. Beispielsweise sind Förderschulen mit den Förderschwerpunkten „Emotionale und Soziale Entwicklung“ und „Geistige Entwicklung“ in besonderem Maße mit Gewalt- und Eskalationssituationen konfrontiert. Dies gilt ebenso für Klinikschulen, deren Schülerinnen und Schüler sich häufig in psychischen Ausnahmesituationen befinden. Dabei unterscheiden sich die Häufigkeit, die Art und die Intensität der Vorfälle und daraus resultierend die notwendigen Handlungsrepertoires von denen anderer Schulformen. Demzufolge benötigt das Personal an Förder- und Klinikschulen neben spezifischen Qualifikationen im Umgang mit herausforderndem Verhalten, psychiatrischen Krankheitsbildern und Gewaltsituationen eine angepasste Ausstattung mit Rückzugs- und Schutzräumen, Deeskalationsräumen und personeller Doppelbesetzung.
An den Hauptschulen in NRW sind überdurchschnittlich viele Schülerinnen und Schüler aus sozial herausfordernden Lebenslagen, was durch die bestehenden Sozialindizes unterstrichen wird. Beschäftigte berichten regelmäßig von unterschiedlichen Formen von Gewalt, z. B. körperlicher oder psychischer Gewalt, und die daraus resultierende hohe Belastung. Ähnliches gilt für die Sekundar- und Gesamtschulen in NRW.
Sowohl für die Hauptschulen als auch für die Sekundar- und Gesamtschulen erschwert sich die Präventionsarbeit durch die regelmäßige Aufnahme von Bildungsgangwechslerinnen und -wechslern, die die konstante (Beziehungs-)Arbeit in bestehenden Gefügen enorm erschweren und selbst eine erhöhte Aufmerksamkeit in allen Belangen benötigen.
Insgesamt fordert der VBE NRW zusätzlich:
- Das Präventionsnetzwerk #sicherimDienst bietet bereits eine Grundlage für die Unterstützung der Schulen in NRW. Es sollte den Schulen konkret ermöglicht werden, hier entsprechende Schulungen und Fortbildungen zu buchen. Hierbei könnten die Schulen ihre spezifische Situation berücksichtigen.
- Durch die in vielen Schulen vorhandene Superdiversität in den Klassen, die auch Kinder und Jugendliche beinhaltet, die keine oder zu wenige Deutschkenntnisse haben, muss unbedingt darüber gesprochen werden, wie ein verlässliches Dolmetschersystem für die Schulen aufgebaut werden kann.
- Für eine effektive Gewaltprävention ist es nötig, alle Gewaltvorfälle in den Schulen niederschwellig zu erfassen und melden zu können.
Als Bildungsverband ist es für den VBE NRW wesentlich, weitere zukunftsgerichtete Gedanken und Vorschläge in die Diskussion einzubringen, um die Schulkultur in NRW positiv zu gestalten:
- Der Leistungsbegriff ist aktuell stark durch das Erreichen fachlicher Lerninhalte geprägt. Ohne diese zu vernachlässigen, ist es aus Sicht des VBE NRW dringend notwendig, das emotionale und soziale Lernen mehr in den Blick zu nehmen. Eine demokratische Gesellschaft ist nicht allein auf rein fachlich gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen. Schülerinnen und Schüler brauchen in der Schule die Zeit für das soziale Miteinander, u.a. für die Entwicklung von Empathiefähigkeit und gegenseitigem Respekt. Auf diese Weise kann das Gemeinschaftsgefühl und somit auch das Sicherheitsgefühl für alle in Schule erhöht werden. Der Aufbau eines solidarischen Miteinanders sollte sowohl in unseren Bildungseinrichtungen als auch in der öffentlichen Kommunikation einen gleichwertigen Stellenwert in der Leistungsdiskussion einnehmen.
- Kinder und Jugendliche brauchen Räume, die sie selbst mitgestalten können, in denen sie gehört und gesehen werden. Durch die Stärkung der Kinderrechte und die Ermöglichung von Partizipation fühlen sich Schülerinnen und Schüler gesehen, eine unerlässliche Grundlage, um starke Persönlichkeiten zu entwickeln.
- Kinder und Jugendliche brauchen Orientierung und Sicherheit. Klare Regeln, verlässliche Tagesstrukturen und konstante Bezugspersonen. Hierfür sind kleinere Lerngruppen und Klassenleitungsteams die Basis.
- Die aktuellen Lehrer-Schüler-Relationen und Klassenrichtwerte müssen für alle Schulformen überprüft werden. Sie entsprechen nicht mehr den Herausforderungen unserer aktuellen Gesellschaft und den zeitgemäßen Ansprüchen an die Schulen.
- Demzufolge brauchen die Schulen nicht nur mehr ausgebildete Lehrkräfte, sondern ebenso mehr pädagogische Fachkräfte. Konstante Beziehungsarbeit ist notwendig für das Aufbauen und Verinnerlichen einer gewaltfreien Schulkultur.
- Eltern sind wichtige Bezugspersonen ihrer Kinder, unabhängig davon, wie viel Zeit sie mit ihnen verbringen oder wie viel Unterstützung sie von ihnen erhalten. Daher ist es wichtig, die Elternarbeit zu intensivieren, um diese, wenn notwendig, wieder vermehrt in die Erziehungsarbeit ihre Kinder einzubinden. Durch niedrigschwellige Angebote in den Schulen, wie beispielsweise Elterncafés, Workshops für Eltern und Erziehungsberatung kann bereits auf freiwilliger Basis viel erreicht werden. Aus Sicht des VBE NRW sollten bereits bestehende Maßnahmen im Bereich der Elternunterstützung auf ihre Wirksamkeit hin evaluiert werden, um effektive Maßnahmen in die Breite zu bringen, nur so kann Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Erziehungsberechtigten gelebt werden.
Der VBE NRW weist abschließend darauf hin, dass für die Umsetzung aller geforderten Maßnahmen zusätzliche Ressourcen in die Schulen müssen, finanzielle, personelle, zeitliche und räumliche. Ressourcen, die im Hinblick auf die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes eine wertvolle Investition darstellen. Eine Investition in das Wichtigste, was wir in NRW haben – unsere Einwohnerinnen und Einwohner.
Dortmund, 01.07.2025
Anne Deimel Stefan Behlau
Landesvorsitzende VBE NRW Landesvorsitzender VBE NRW