Neue forsa-Umfrage zur Inklusion
Die deutliche Mehrheit der Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen befürwortet grundsätzlich schulische Inklusion, allerdings müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dies zeigt die heute veröffentlichte forsa-Umfrage, erstellt im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE NRW).
„Die Haltung der Lehrkräfte ist klar. Landesregierung und Schulträger sind gefordert, die Bedingungen für eine gelingende schulische Inklusion zu schaffen – und das seit Jahren“, sagt hierzu Anne Deimel, Landesvorsitzende des VBE NRW.
Inklusion gewollt – aber schwer umsetzbar
„Während die Zustimmung zur Inklusion wächst, wächst der Frust über unzureichende Bedingungen ebenso“, ergänzt Deimel.
64 Prozent der Lehrkräfte in NRW halten die gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung grundsätzlich für sinnvoll – ein Höchstwert im Vergleich zu den Vorjahren (2020: 57 %) und über dem Bundesdurchschnitt (62 %). Doch nur 18 Prozent halten diese gemeinsame Unterrichtung unter den aktuellen Bedingungen auch praktisch für sinnvoll.
Die Landesvorsitzende erläutert: „Die Lehrkräfte stehen hinter dem Gedanken der Inklusion – aber sie stehen im Alltag ohne die nötige Unterstützung da. Seit über 10 Jahren steht inklusives Lernen auf dem Stundenplan in NRW, und dennoch sind wir von den Gelingensbedingungen weit entfernt. Die Rahmenbedingungen werden an vielen Standorten den Kindern und Jugendlichen, den Eltern und den Kolleginnen und Kollegen nicht gerecht. Wer Inklusion ernst nimmt, muss den Schulen endlich geben, was sie brauchen: ausreichend sonderpädagogische Expertise, kleinere Lerngruppen, Räume, Qualifizierung und Zeit.“
Starke Argumente für Inklusion
Die Umfrage zeigt, dass für Lehrkräfte in NRW vor allem soziale Aspekte für eine gemeinsame Unterrichtung von allen Kindern sprechen, beispielsweise:
- Recht auf Gleichbehandlung
- soziales Lernen
- Abbau von Berührungsängsten und Vorurteilen
- Förderung von Toleranz
- Bessere Chancen und Förderung von Kindern mit Behinderungen
Dazu Anne Deimel: „Lehrkräfte sehen in den Schülerinnen und Schülern ihnen anvertraute einzelne Persönlichkeiten. Der Mensch steht im Vordergrund. Durch die Mangelsituationen an vielen Schulen fehlt leider oft Zeit für das soziale Miteinander – unabdingbar für das Erreichen von sozialen Lernzielen.“
Massive Hürden im Schulalltag
Die Umfrage zeigt auch auf, welche Hürden Lehrkräfte in NRW benennen, die einen gelingenden inklusiven Schulalltag behindern. Dies sind beispielsweise:
- fehlendes (Fach-)Personal
- ungenügende materielle Ausstattung
- mangelnde Ausbildung bzw. Schulung der Lehrkräfte für Inklusion
- Größe der Klassen
Alarmierend ist, dass jede fünfte Lehrkraft angibt, dass die Regelschule den erhöhten Förderbedarf von Kindern mit Behinderungen nicht leisten kann.
„Wir können nur so viel leisten, wie viele wir sind. Inklusion braucht Personal“, macht die Landesvorsitzende deutlich.
Zu wenig Unterstützung, zu große Klassen
Lehrkräfte in NRW wissen, welche Unterstützung dringend nötig ist, damit sie allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden können. 97 Prozent von ihnen fordern eine Doppelbesetzung aus Lehrkraft und sonderpädagogischer Lehrkraft in inklusiven Klassen. Die Realität an den Schulen ist eine andere. Nur 2 Prozent der Lehrkräfte geben an, dass es an ihrer Schule in inklusiven Klassen immer eine Doppelbesetzung gibt, 69 Prozent der Kolleginnen und Kollegen unterrichten immerhin zeitweise in einer Doppelbesetzung, fast jede dritte Lehrkraft (27%) ist durchweg alleine in ihrer Klasse.
Deimel kritisiert: „Zu viele Kolleginnen und Kollegen, gerade bei uns in NRW, fühlen sich mit der wichtigen Aufgabe der Inklusion alleine gelassen.“
Die Umfrage zeigt, dass im Bund durchschnittlich 19,4 Schülerinnen und Schüler in einer inklusiven Klasse unterrichtet werden, in der im Durchschnitt 4,0 Kinder einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf haben. In NRW sind es jedoch 4,5 Kinder in Klassen mit durchschnittlich 21 Schülerinnen und Schülern.
Fast jede zweite Schule nicht barrierefrei
46 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Schule überhaupt nicht barrierefrei ist.
Dazu Deimel: „Kinder und Beschäftigte dürfen nicht Leidtragende der schwierigen finanziellen Haushaltslagen sein. Inklusives Lernen braucht Barrierefreiheit, aber auch zusätzliche Räumlichkeiten wie Differenzierungsräume und Lernbüros.“
Große Mehrheit unzufrieden mit Inklusionspolitik
Über 4 von 5 der befragten Lehrkräfte in NRW zeigen sich unzufrieden mit der Inklusionspolitik der Landesregierung. Die in einer offenen Abfrage genannten Gründe sind vielfältig, hier werden in der Befragung beispielsweise genannt:
- fehlende personelle Ausstattung
- schlechte räumliche Bedingungen
- Alleinlassen der Lehrkräfte
- zu große Klassen
Fazit
„Dass die Realität so weit hinter dem Anspruch zurückbleibt, liegt nicht in der Verantwortung der Kolleginnen und Kollegen vor Ort, sondern in der Verantwortung der Politik. Eine gelingende Inklusion ist eben nicht nur eine Frage des Wollens und der Haltung – es ist eine Frage der Bedingungen“, stellt die Landesvorsitzende Anne Deimel abschließend fest.
Was jetzt konkret nötig ist:
- Die sonderpädagogische Expertise muss an allen Schulen gesichert und nachhaltig gestärkt werden.
- Eine Doppelbesetzung aus Lehrkraft und sonderpädagogischer Lehrkraft ist für gemeinsames Lernen zu gewährleisten.
- Kleinere Lerngruppen sind unerlässlich – Klassen dürfen 24 Kinder und Jugendliche nicht überschreiten; Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf müssen dabei doppelt gezählt werden.
- Beschäftigte in Schulen benötigen praxisnahe Fortbildungen, materielle Ressourcen und ausreichend Zeit für Teamabsprachen, Planung und Beratung.
- Multiprofessionelle Teams müssen systematisch ausgebaut und ihre Mitglieder professionsspezifisch eingesetzt und unterstützt werden.
- Schulische Inklusion braucht moderne Diagnostik und darauf aufbauende Förderung, passende Lernmittel, digitale Ausstattung und nicht zuletzt barrierefreie Räume.
Hintergrund zur Umfrage
Für die Studie wurden im März/April 2025 insgesamt 2.737 Lehrkräfte in Deutschland befragt, darunter 518 in NRW. 289 von ihnen unterrichten derzeit in inklusiven Klassen.
Die Pressemitteilung als Download
Hier können Sie die Pressemitteilung des VBE NRW als PDF herunterladen.
Die forsa-Umfrage als Download
Hier können Sie die gesamte forsa-Umfrage (NRW-Daten) als PDF herunterladen.






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