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Künstliche Intelligenz in der Bildung

Interview mit Prof. Dr. Doris Weßels

Anwendungen generativer künstlicher Intelligenz wie ChatGPT und Co. erhalten zunehmend Einzug in unseren Alltag und stellen auch das Schulsystem vor neue Herausforderungen. Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaft an der Fachhochschule Kiel, beschäftigt sich seit 2019 mit den Chancen und Risiken großer Sprachmodelle in der Lehre. Im Interview mit Schule heute beleuchtet die KI-Forscherin, wie sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Bildung auswirken kann.


Frau Professorin Weßels, inwiefern hat KI nach Ihrem Eindruck bereits Einzug in die Klassenzimmer genommen bzw. wo und wie werden solche Anwendungen bereits von Lehrkräften und Schülerschaft eingesetzt?

Frau Professorin Weßels, inwiefern  hat KI nach Ihrem Eindruck bereits Einzug in die  Klassenzimmer genommen bzw. wo und wie werden solche Anwendungen bereits von Lehrkräften  und Schülerschaft eingesetzt?
Es gibt unzählige Websites, Leit fäden, Fachblogs und Edu-Websites mit Anwen dungs beispielen zur Integration von KI in den Unter richt. Hier einige Namen der Vor rei ter- *innen aus der Bildungsszene: Regina Schulz, Manuel Flick, Hauke Pölert, Joscha Falck und Bob Blume. Es mangelt somit nicht an guten Ideen, kompetenten Berater*innen und Inspi rationshilfen, aber der Einsatz in der Breite an den Schulen ist bislang nicht erfolgt und entwi ckelt sich zu einem immer größeren Problem und ist Anlass von Kritik und Sorge. Von der Vodafone-Stiftung ist in diesem Jahr die Ju gendstudie zum Einsatz von künstlicher Intel ligenz an Schulen veröffentlicht worden. Dort zeigt sich sehr deutlich, dass Jugendliche sich den Umgang mit KI als festen Bestandteil des Unterrichts wünschen. Aber wie sieht es mit den Lehrenden aus? Sind sie auch „fit für KI“? Das ganze Dilemma wird sehr anschaulich in dem Beitrag „KI hat schon längst den Unter richt verändert“ der Bundeszentrale für poli tische Bildung erläutert, der am 30. Mai veröf fentlicht wurde: https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/ werkstatt/548871/ki-hat-schon-laengst-den unterricht-veraendert/. Die befragten Schülerinnen und Schüler der Lan desschülervertretungen betonen die Notwendig keit der Integration von künstlicher Intelligenz im Unterricht. Während sie als Lernende KI be reits nutzen, seien viele Lehrkräfte unvorbereitet, und die langsame Digitalisierung der Landesre gierungen behindere die Integration von KI im Unterricht. Die umfassende Fortbildung von Lehrkräften wird als Schlüssel zur erfolgreichen Einbindung von KI im Bildungsbereich gesehen, auch um Schülerinnen und Schüler im sicheren Umgang mit KI zu schulen, sodass sie das Poten zial der Technologie nutzen und Gefahren identi fizieren und vermeiden können.


Sie beschäftigen sich u. a. mit den Chancen und Risiken von generativen Sprachmodellen für das Lehren und Lernen. Worin bestehen diese konkret für Schule und Bildung?

Sie beschäftigen sich u. a. mit den Chancen und  Risiken von generativen Sprachmodellen für das  Lehren und Lernen. Worin bestehen diese konkret  für Schule und Bildung?
Die Integration generativer KI im Bil dungsbereich bietet vielfältige Chancen, die das Lernen und Lehren grundlegend verändern können. Eine der bedeutendsten Möglichkeiten besteht in der Förderung des selbstbestimmten Lernens. Generative KI kann als persönlicher Lerntutor fungieren, der allzeit bereit und rund um Uhr verfügbar ist und somit das indi viduelle und selbstgesteuerte Lernen der Schüler*innen wirksam unterstützen kann. Dieser Ansatz ermöglicht es uns erstmalig in dieser niedrigschwelligen Art, die Lernenden dort abzuholen, wo sie sich in ihrer Entwick lung befinden, und ihnen zu helfen, in ihrem eigenen Tempo mit spezifischer Unterstützung zu lernen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit, wenn die Werkzeuge al len Lernenden in gleicher Art und Weise zur Verfügung gestellt werden. Kinder aus nicht akademisch geprägten Elternhäusern können durch den Einsatz generativer KI-Anwen dungen dann erstmalig auf einfache und nied rigschwellige Weise Unterstützung erhalten. Auf diese Weise hätten wir mehr Chancen gleichheit im Bildungssystem, aber natürlich nur dann, wenn der Zugang zu den Tools flä chendeckend und unter Einhaltung der Daten schutz-Grundverordnung (DSGVO) gewährlei stet werden kann. Zusätzlich können KI-Tools wie ChatGPT die Lehrkräfte erheblich entlasten, indem sie ad ministrative, aber auch kreative Aufgaben wie die Erstellung von Unterrichtskonzepten und Arbeitsblättern übernehmen. Darüber hinaus können neue multimodale Möglichkeiten, wie die Generierung von Bildern, Videos oder Au diodateien, die Qualität der Lehre steigern und das Lernen für die Schüler*innen attraktiver gestalten. Schließlich fördert die Einbindung von KI in den Unterricht innovative Lehrmethoden. Da zu gehören projektorientiertes Lernen und re alitätsnahe Aufgabenstellungen, die die Moti vation und das Engagement der Schülerinnen und Schüler erhöhen können. Durch diese neu en Ansätze kann der Unterricht dynamischer und interaktiver gestaltet werden, was langfri stig zu besseren Lernergebnissen führen kann. Neben den gerade aufgezeigten Vorteilen bringt die Nutzung generativer KI im Bildungs bereich aber auch eine Reihe von Limitationen und Herausforderungen mit sich, die parallel berücksichtigt und erfolgreich „gemanagt“ werden müssen. Zu den wesentlichen Risiken gehört das Phänomen der Halluzinationen, bei dem KI-Systeme falsche oder irreführende In formationen generieren. Zusätzlich besteht die Gefahr von Bias und Voreingenommenheit in den KI-Modellen, sehr gut sichtbar bei der Bild generierung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Abhängigkeit von Anbietern, derzeit den amerikanischen Tech-Giganten wie OpenAI, Microsoft, Google und Meta. Es besteht zudem das Risiko eines Verlusts menschlicher Interak tionen, was die soziale Dimension des Lernens beeinträchtigen könnte. Die steigende Nutzung von KI birgt auch die Gefahr der Online-Sucht gefahr, da die ständige Verfügbarkeit und der Zugang zu KI-Tools zu einer übermäßigen Nut zung führen können. Insgesamt erfordert der Einsatz von KI im Bildungsbereich somit eine didaktische Digitalkompetenz der Lehrenden, um die negativen Auswirkungen beherrschbar zu machen und die Potenziale bestmöglich zu nutzen.


Welche Auswirkungen haben ChatGPT und Co. auf Bildungsprozesse, – ziele und -konzepte?

Welche Auswirkungen haben ChatGPT und Co.  auf Bildungsprozesse, - ziele und -konzepte?
Durch Tools wie ChatGPT und Co. ist plötzlich im Klassenzimmer oder Seminarraum ein neuer Akteur im Raum, der das Zusammenspiel der beiden bisherigen Gruppen (Lernende und Lehrende) verändert. Er sitzt unsichtbar auf den Schultern fast aller Lernenden, seltener jedoch bei den Lehrenden. Dieser neue Akteur verändert die Dynamik der Wissensvermittlung und des Lernens grundlegend: Die Lernenden können direkt mit der KI interagieren, um Informationen zu erhalten, Fragen zu klären und Feedback zu bekommen. Dies führt zu einer neuen, unmittelbaren Form der Unterstützung, die unabhängig von der Lehrkraft funktioniert. Mit Blick in die Zukunft verschiebt sich aus meiner Sicht die Rolle der Lehrkraft zunehmend mehr in Richtung Coach oder Moderator, der den Einsatz der KI begleitet und reflektiert.


Lehrkräfte stehen durch ChatGPT vor neuen Herausforderungen. Wie können Lehrkräfte hier unterstützt werden? Wie kommen wir zu einem produktiven Umgang mit der neuen Technik bzw. wie kann ChatGPT sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden?

Lehrkräfte stehen durch ChatGPT vor neuen  Herausforderungen. Wie können Lehrkräfte hier  unterstützt werden? Wie kommen wir zu einem  produktiven Umgang mit der neuen Technik bzw.  wie kann ChatGPT sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden?
Die Lösung ist eigentlich sehr einfach und lautet „Schulungen, Schulungen, Schulungen …“, d. h. die Technologie kennenlernen und sie mit ihren Möglichkeiten und Limitationen verstehen. Im zweiten Schritt muss es Anreize für das Experimentieren geben, damit Lehrende Erfahrungen sammeln können und ein Gefühl für die Potenziale der Technologie entwickeln.


KI-Systeme können inzwischen mühelos aussagekräftige Texte schreiben, komplexe Fragen beantworten und vieles mehr. Wie können Schülerinnen und Schüler dafür begeistert werden, unter der Nutzung von KI dennoch ihre eigene Kreativität beizubehalten?

KI-Systeme können inzwischen mühelos aussagekräftige Texte schreiben, komplexe Fragen beantworten und vieles mehr. Wie können Schülerinnen  und Schüler dafür begeistert werden, unter der  Nutzung von KI dennoch ihre eigene Kreativität  beizubehalten?
Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Aufgabenstellungen. Sie sollten so gewählt werden, dass Schülerinnen und Schüler die KI wie einen kreativen Sparringspartner nutzen, mit dem sie gemeinsam in einem kollaborativen Ansatz ihre Ideen entwickeln und perspektivenreich analysieren. Sehr zu empfehlen sind experimentelle Aufgabenstellungen, bei denen Schülerinnen und Schüler mit KI experimentieren können, um neue kreative Ansätze zu entdecken. Sie fördern ein exploratives Lernen und führen in der Regel zu einer besonderen Form der Schaffensfreude, weil die Produktivität bei der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ein höheres Level erreicht als der klassische Weg, bei dem wir Menschen alleine auf uns gestellt waren.


Wie können Prüfungsformate der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen, gerade unter der Berücksichtigung von KI?

Wie können Prüfungsformate der Zukunft Ihrer  Meinung nach aussehen, gerade unter der Berücksichtigung von KI?
Prüfungsformate der Zukunft müssen sich an den Bildungszielen orientieren, die wiederum auf die Zukunftskompetenzen ausgerichtet sein müssen. Aber dort stellt sich die Frage nach den Future Skills im Zeitalter von KI. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Zukunftskompetenzen immer von den sich im Zeitverlauf ändernden Rahmenbedingungen „geprägt“ sein werden, für die wir leider keine Glaskugel haben und sie deshalb auch nur schwer vorhersagbar sind. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass projektbasierte Lehr- und Lernformen, die eine Kollaboration mit digitalen Tools vorsehen, zukunftsorientierte Ansätze sind. Wir wollen und müssen die Problemlösungskompetenz der Lernenden bestmöglich fördern. Es ist auch unschwer zu erraten, dass Soft Skills zukünftig noch bedeutsamer werden. Seit der Veröffentlichung von ChatGPT und der Diskussion geeigneter Prüfungsformen haben wir eine „Renaissance der Mündlichkeit“ erlebt. In diesem Zusammenhang habe ich das Modell der drei Ps für meine studentischen Seminare entwickelt. Man kombiniert drei Bausteine in beliebiger Konstellation: Prozess, Produkt (= schriftliches Elaborat) und Präsentation. Neu ist der Baustein des Prozesses, den wir in die Bewertung von Leistungen zunehmend mehr einbeziehen werden. Hierbei geht es um das Design des methodischen Ansatzes und das Design der ausgewählten Tools, sodass Studierende ihre Digitalkompetenz bei der Auswahl und dem zielgerichteten Einsatz von digitalen Werkzeugen (inklusive KI-Tools) auch honoriert sehen. Die „Renaissance der Mündlichkeit“ zeigt sich bei den mündlichen Präsentationen im Sinne einer Verteidigung. Sie wird bedeutsamer, um die individuelle Kompetenz der Lernenden präziser beurteilen zu können.


Noch ein Blick in die Zukunft – welchen Stellenwert wird KI an unseren Schulen in den nächsten zehn Jahren einnehmen?

Noch ein Blick in die Zukunft – welchen Stellenwert wird KI an unseren Schulen in den nächsten  zehn Jahren einnehmen?
KI wird in den nächsten zehn Jahren kein Thema sein, das wir isoliert diskutieren, sondern es wird zu einem selbstverständlichen und integralen Bestandteil unseres privaten und beruflichen Lebens geworden sein und somit auch in der schulischen Bildung. Es wird die Lehr- und Lernprozesse revolutioniert haben und uns in eine neue Ära der Bildung geführt haben. Disclaimer: Bei der Beantwortung dieser Fragen hat mich mein „Digital Twin“ als KI-Avatarin unterstützt, die als Knowledge Base auf meine früheren Interviews und Veröffentlichungen zum Thema KI und Bildung zurückgreifen konnte.


Vielen Dank für das Gespräch!


Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel, ist Forschungssprecherin Digitalisierung und Mitgründerin sowie Mitglied im Leitungsteam KI-Kompetenzzentrum: https://www.ki-schreiben-lehren-lernen.de. Das Interview führte Melanie Kieslinger, Pressereferentin des VBE NRW. Foto Copyright: Andreas Diekötter


Starke Bildung. Starke Menschen.

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