VBE: SWK-Empfehlungen werden den Personalmangel verstärken
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) hat Empfehlungen zum Umgang mit dem Lehrkräftemangel vorgelegt. Zunächst ist es sehr begrüßenswert, dass die SWK und die KMK jetzt die Realität anerkennen, nachdem vor Monaten die Zahlen zum Lehrkräftemangel noch schöngerechnet wurden. In einem zweiten Schritt sollten sich nun die wissenschaftlichen Ergebnisse an der Machbarkeit und nicht der Kreativität scheinbarer Lösungen orientieren.
Die vorgestellten Maßnahmen der SWK werden den Beruf unattraktiver machen, durch Überbelastung für mehr Unterrichtsausfall sorgen und das Schulsystem noch stärker belasten.
Die Empfehlungen erwecken den Eindruck, dass sich die SWK und die KMK viel über das Personal in den Schulen unterhalten, jedoch ohne mit dem Personal in den Schulen zu reden. Das führt zu Denkfehlern.
Es birgt eine gewisse Ironie, dass die KMK in ihrer Pressemitteilung ausgerechnet auch den IQB-Bildungstrend für ihre Argumentation nutzt. Schließlich resultieren die Ergebnisse der IQB-Studie aus dem Umstand, dass seit Jahren die Realität an den Schulen von der KMK ignoriert wurde.
Größere Klassen, Mehrarbeit sowie verstärkte Abordnungen bedeuten in der Schulpraxis, dass noch weniger Kinder und Jugendliche individuell gefördert werden können, noch mehr Kolleginnen und Kollegen wegen Überlastung krank werden, was wiederum zu mehr Unterrichtsausfall führt und damit letztlich der Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen schadet.
Teilzeit verhindert Unterrichtsausfall
Schon der SWK-Vorschlag, die Teilzeit zu begrenzen, zeigt eine große Ferne zur Schulpraxis:
Lehrkräfte gehen in Teilzeit, weil sie zum Beispiel Care-Arbeit leisten oder um ihre eigene Gesundheit zu schützen. Viele Lehrkräfte bleiben dem System erhalten, eben weil sie in Teilzeit arbeiten.
Vorgeschlagene Maßnahmen zur Entlastung, zum Beispiel Achtsamkeitstraining und Kompetenztrainings zur Klassen- und Gesprächsführung, lesen sich vor diesem Hintergrund unwirklich.
Wer glaubt, weniger Teilzeit löse das Problem, glaubt wahrscheinlich auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Wer größere Lerngruppen fordert, muss zuerst erklären, wo wir diese in den bereits überfüllten Räumen unterbringen sollen. Wer „Assistenzsysteme“ für Lehrkräfte als zielführend erachtet, sollte sich zuerst Gedanken machen, wo die Zeit für Kooperation und Koordination herkommen könnte. Wer von Hybridunterricht und hohem Qualitätsanspruch redet, sollte sich zuerst fragen, welche Ressourcen in materieller wie personeller Hinsicht überhaupt vorhanden sind.
Die repräsentative VBE-Schulleitungsbefragung aus dem Januar 2022 zeigt, dass die Hälfte der Schulleitungen angibt, dass die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die langfristig aufgrund physischer Erkrankungen ausfallen, zugenommen hat.
Aus der COPSOQ-Umfrage geht eindeutig hervor, dass Lärmbelastung auch wegen zu großer Lerngruppen ein entscheidender Faktor für Belastungsstörungen wie Burn-Out ist. So entsteht der Eindruck, dass die KMK von der Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Schulen redet, aber eigentlich Belastung forciert. Dies ist bedauerlich, weil Studien ebenfalls belegen, dass sich das Belastungsgefühl wesentlich verstärkt, wenn übergeordnete Institutionen gegen die „eigenen“ Arbeitskräfte agieren.
Es entsteht der Eindruck, die Kolleginnen und Kollegen müssten sich nur selbst resilienter aufstellen, um dann auch mehr leisten zu können. Das ist keine Lösung – stattdessen ist Politik gefragt, Arbeits- und Lernbedingungen zu verbessern. Schließlich liegen Vorschläge für zielführende Maßnahmen schon lange vor, werden aber kaum oder nur zögerlich umgesetzt.
Politik muss sich ehrlich machen
Wo sind die neuen Ideen? Wo ist die Ehrlichkeit, dass Unterricht nach Stundentafeln in der jetzigen Form an vielen Schulen nicht haltbar ist? Wo ist auch nur der Versuch, die Lehrkräfte, die die Systeme am Laufen halten, mitzunehmen in diese Entscheidungen?
Die Beschäftigten in den Schulen haben den Mangel nicht verursacht! Wir sollten endlich darüber reden, was wir in unserer Gesellschaft unter Bildung verstehen, welche Inhalte wirklich notwendig und wichtig sind und wie wir es in dieser schwierigen Situation gemeinsam schaffen, Kindern und Jugendlichen eine Schulzeit zu ermöglichen, die sie zu starken Persönlichkeiten werden lässt.
Stärkere Belastung hilft nicht
Der Druck, der aktuell auf das Personal in den Schulen ausgeübt wird, wird nicht helfen. Schülerinnen und Schüler werden dadurch nicht bessere Leistungen erbringen; die Arbeitsbedingungen und damit die Attraktivität des Berufes werden so nicht gesteigert. Stattdessen nimmt der Druck zunehmend die Freude am Beruf.
Werbung für diesen gesellschaftlich so wichtigen und tollen Beruf sieht anders aus!
Es wäre nachhaltig, auf echte Entlastung und gute Arbeitsbedingungen zu setzen.
Weiterführende Informationen:
Die Pressemitteilung der KMK und die Empfehlungen der SWK erhalten Sie hier.