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Stellungnahme zum Entwurf eines „Gesetz(es) zur Vermeidung von Diskriminierung in Nordrhein-Westfalen (Landesantidiskriminierungsgesetz Nordrhein-Westfalen,LADG NRW)“

Schriftliche Anhörung gemäß § 35 Absatz 1 und Absatz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen (GGO)

Sehr geehrte Frau Ministerin Paul,

für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem oben genannten Entwurf danken wir Ihnen und nehmen diese gerne wahr.

Der Verband Bildung und Erziehung Nordrhein-Westfalen (VBE NRW) begrüßt grundsätzlich jedes politische Bemühen, Diskriminierung zu verhindern und die Gleichbehandlung aller Menschen zu sichern. Auch der vorliegende Entwurf des Landesantidiskriminierungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (LADG NRW) verfolgt dieses Ziel.

Gleichwohl sieht der VBE NRW den Entwurf in seiner gegenwärtigen Form kritisch. Vor allem birgt er, wie wir im Folgenden darlegen werden, Risiken für die Funktionsfähigkeit von Schule und könnte unbeabsichtigte negative Folgen für das pädagogische Handeln nach sich ziehen.

An dieser Stelle muss zudem festgestellt werden, dass die grundsätzliche Trennung zwischen dem kommunalen Bereich und den Landesbeschäftigten aufgrund der Überschneidungen im schulischen Bereich befremdlich erscheint. Dies betrifft bspw. den Bereich der Schulsozialarbeit, der sowohl kommunal als auch landesseitig bespielt wird, sowie einen großen Teil des (offenen) Ganztags.

Zugunsten einer Konzentration auf die aus unserer Sicht zentralen Punkte verzichten wir auf eine Nutzung des freundlicherweise bereitgestellten Formblattes.

Unklarer juristischer Mehrwert

Wie im Gesetzesentwurf unter Abschnitt „A. Problemstellung“ richtigerweise beschrieben, bestehen bereits diverse Diskriminierungsverbote und Gleichbehandlungsgebote für den öffentlichen Dienst – namentlich vor allem Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz, die Verfassung des Landes NRW, das Landesgleichstellungsgesetz, das Behindertengleichstellungsgesetz NRW und das Teilhabe- und Integrationsgesetz.

Diese böten, so die Hauptprämisse des vorliegenden Gesetzesentwurf, allerdings „[…] bislang keinen umfassenden und wirksamen Schutz, der es allen Personen ermöglicht, sich gegen Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zur Wehr zu setzen und entsprechende Ansprüche geltend zu machen“ (ebd.).

Unabhängig von der unbeantworteten Frage, unter welchen Bedingungen ein Schutz denn als „wirksam“ angesehen werden kann, scheint das gesetzliche Novum offenbar vor allem darin zu bestehen, Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Landesbediensteten zu stärken und Entschädigungsansprüche gegenüber dem Land zu vereinfachen.

Dabei besteht, sofern Lehrkräfte oder pädagogisch Beschäftigte im Landesdienst andere Personen rechtswidrig, vorsätzlich oder fahrlässig schädigen, bereits ein Anspruch nach
§ 839 BGB (Amtshaftung) und nach Art. 34 GG (Haftung des Landes). Bereits jetzt verstoßen sie, sofern sie Schülerinnen bzw. Schüler diskriminieren, als Beschäftigte im öffentlichen Dienst gegen ihre Dienstpflichten und ihre pädagogische Verantwortung. Ihnen drohen Disziplinarverfahren, die Umsetzung oder die Entfernung aus dem Dienst.

Das geplante Gesetz räumt zwar nun direktere Entschädigungs- und Auskunftsansprüche gegen staatliche Stellen ein, doch stellt sich die Frage, warum diese überhaupt in einem eigenen Gesetz implementiert werden müssen, wenn „[…] nach Inkrafttreten des Gesetzes keine Klagewelle zu erwarten sein“ dürfte (Abschnitt „D. Kosten“).  

Überdies schafft der vorliegende Entwurf eine parallele Rechtslage, die zu Unklarheiten und möglichen Widersprüchen führen kann. Die Gefahr besteht, dass Beschäftigte und Schülerinnen und Schüler sowie Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wissen, welches Gesetz in welchem Fall Anwendung findet. Statt ein neues Regelwerk zu schaffen, könnte die Landesregierung prüfen, inwiefern bestehende Vorschriften besser ineinandergreifen und in der Verwaltungspraxis angewendet werden können.

So birgt etwa die Formulierung unter § 2 Abs. 3 die Gefahr einer unklaren Anspruchskonkurrenz durch die Anwendung der AGG, BGG und LADG mit den jeweiligen Ausnahmen und „Rückausnahmen“ (siehe Begründung zu § 2 Abs. 3). Warum bestehende rechtliche Antidiskriminierungsvorschriften im Schutzbereich nicht erweitert und um die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ergänzt wurden, bleibt offen.

Der VBE NRW äußert seine Bedenken dahingehend, ob der zweifelsohne vorhandene Mehrwert des neuen Gesetzes die drohenden negativen Konsequenzen rechtfertigt, die wir im Folgenden näher ausführen werden.

Etablierung einer Misstrauenskultur

Das Gesetz kann in der öffentlichen Wahrnehmung so ausgelegt werden, dass Lehrkräfte und pädagogisch Beschäftigte im Landesdienst unter Generalverdacht gestellt werden „müssen“. Denn wer ein umfassendes Diskriminierungsrecht gegenüber Schulen implementiert, sendet das Signal, dass das Personal nicht nur nicht auf der Basis der vorhandenen Rechte, der Verfassung des Landes NRW und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland handelt, sondern auch entgegen der subjektiven Berufs- und Werteethik – und somit einer ständigen Kontrolle bedarf.

Diese gesetzgeberische Grundhaltung ist mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag, dem alle Kolleginnen und Kollegen verpflichtet sind, kaum vereinbar. Pädagogisches Handeln basiert auf Verantwortungsbewusstsein gegenüber den schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten, auf Vertrauen und auf pädagogischer Freiheit – und nicht auf juristischer Überwachung.

Der VBE NRW warnt deshalb davor, dass der Entwurf eine Kultur des Misstrauens etablieren könnte. Dieses Misstrauen kann das Klima an den Schulen vor Ort belasten, die Beziehungsarbeit in der Lehrer-Schüler-Beziehung und in der Erziehungs- und Bildungspart­nerschaft mit den Erziehungsberechtigten beeinträchtigen und somit das Berufsbild der Beschäftigten beschädigen sowie letztlich die Loyalität gegenüber dem Dienstherrn untergraben.

Unscharfe Begrifflichkeiten

In § 4 (Diskriminierungsverbot) bestehen nach hier vertretener Auffassung Unklarheiten hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der Diskriminierungshandlung. In der Gesetzesbegründung wird zunächst auf einen objektiven Sichtwinkel abgestellt. Vorstellungen und Motive der diskriminierenden als auch der diskriminierten Person sollen nur insoweit beachtlich sein, als sie Rückschlüsse auf die objektive Lage zulassen.

Dadurch können im Vorfeld kaum belastbare Aussagen zu gewünschten regelkonformen Verhalten getroffen werden. Durch die unklare Definition besteht die Gefahr, dass auch solche Verhaltensweisen als diskriminierend eingestuft werden können, die vom Schutzbereich des Gesetzes eigentlich nicht umfasst werden sollten.

Die Regelung nach § 4 Abs. 8 dürfte sicherlich gut gemeint, aber lediglich ein „frommer Wunsch“ sein, da mit einer ermessensfehlerfreien Begründung eine diskriminierende Entscheidung einer öffentlichen Stelle aufrechterhalten werden kann. Vor dem Hintergrund der beabsichtigten Beweislastumkehr könnte diesem Umstand nur durch eine nun vollständig gegenläufige Entscheidung (zunächst Ablehnung, nun Bewilligung) begegnet werden.

Trotz dieser Kritik begrüßt der VBE NRW die Aufnahme eines möglichst breiten Spektrums an potentiellen Diskriminierungstatbeständen durch die Etablierung eines offenen, nicht abschließenden Kataloges von Diskriminierungsmerkmalen (siehe § 4 Absatz 2). Dass die Merkmale des Antisemitismus in Gestalt der antisemitischen Zuschreibung, des Merkmals der Elternschaft und desjenigen der familiären Fürsorgeverantwortung ausdrücklich benannt werden, bewerten wir ebenfalls sehr positiv.

Gefahren der Beweislastumkehr

Die im Entwurf vorgesehene Beweislastumkehr (§ 8 LADG NRW) kann dazu führen, dass Beschäftigte sich vermehrt ungerechtfertigten Vorwürfen ausgesetzt sehen und ihre Arbeit unter ständiger Unsicherheit oder in einem Klima der Angst vor Fehlinterpretationen verrichten. Schule aber muss ein pädagogischer Raum bleiben, in dem die Entscheidungen der Kolleginnen und Kollegen situativ, wertbezogen und kontextabhängig auf Basis von Vertrauen und Wertschätzung getroffen werden. Der VBE NRW befürwortet selbstverständlich den Schutz von Betroffenen, betont aber, dass Rechtsklarheit und die Unschuldsvermutung gleichermaßen gewahrt bleiben müssen. Ebenso wie die Schülerinnen und Schüler müssen auch die Beschäftigten geschützt werden.

Darüber hinaus lässt der Gesetzesentwurf konkrete Schritte dahingehend vermissen, wie die betroffenen Beschäftigten oder Behörden nachweisen können, dass keine Diskriminierung vorlag. Zwingend erforderlich wären entsprechende Hilfestellungen seitens der Landesregierung, bspw. in Form von Checklisten und Handreichungen.

Zusätzlicher Verwaltungsaufwand

Der Gesetzesentwurf schafft neue Prüf- und Dokumentationspflichten, die in der Praxis zu einer zusätzlichen Belastung führen dürften. Die Kolleginnen und Kollegen könnten sich gezwungen fühlen, sich gegen jegliche potenzielle Diskriminierungsvorwürfe abzusichern.

Bekanntermaßen ist bereits heute der Arbeitsalltag an Schulen stark von Verwaltungsaufgaben geprägt. Jede weitere Verpflichtung zur Nachweisführung oder Berichterstattung entzieht den Beschäftigten weitere Zeit für ihre eigentliche pädagogische Aufgabe.

Der VBE NRW befürchtet deshalb, dass das LADG NRW neue bürokratische Strukturen hervorbringt, ohne einen praktischen Nutzen für den Diskriminierungsschutz in Schulen zu schaffen. Vielmehr droht eine Verschiebung der Aufmerksamkeit: weg von der Prävention und der pädagogischen Arbeit hin zur juristischen Absicherung.

Nicht ausdifferenzierte Zuständigkeiten der Antidiskriminierungsstelle

Die Einrichtung einer Landesantidiskriminierungsstelle kann grundsätzlich sinnvoll sein, wenn sie beratend, vermittelnd und präventiv wirkt. Der VBE NRW mahnt jedoch an, dass ihre Aufgaben klar definiert und bestehende Strukturen einbezogen werden müssen. Nicht zu verstehen ist etwa die Aufgabe 5 („Sammlung verfügbarer Gleichbehandlungsdaten“).

Eine zusätzliche Institution darf nicht zu Mehrbelastungen oder Kompetenzüberschneidungen führen, stattdessen gilt es, vorhandene Strukturen zu stärken.

Weitere Forderungen des VBE NRW

Zur Unterstützung einer wirksamen Antidiskriminierungsarbeit sind aus Sicht des VBE NRW folgende weitere Maßnahmen sinnvoll.

Wir fordern ein gut aufgestelltes multiprofessionelles Team, das psychologische Beratung einschließt, sowie eine gute Ausstattung mit Fachkräften, um bspw. das Lernen in kleineren Gruppen zu ermöglichen und um zu gewährleisten, dass die verschiedenen Berufsgruppen in Schule professionsspezifisch arbeiten können. Seit Jahren fordert der VBE NRW etwa den Ausbau der Schulsozialarbeit (auf Landesstellen).

Begrüßenswert wären außerdem höhere Freistellungen für Tätigkeiten im Zusammenhang mit (Anti-)Diskriminierung, vor allem für Vertrauenslehrkräfte. Zeitliche Ressourcen sind ebenso erforderlich für Fort- und Weiterbildungen auf individueller und systemischer Ebene.

Die in NRW bestehenden und bewährten Konzepte und Programme im Kontext von Antidiskriminierung müssen ausgebaut werden. Zu nennen sind hier vor allem das Projekt „Schule der Vielfalt“, das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, das Programm „Demokratie leben!“ sowie das Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt von SCHLAU.

Schließlich sollten die Partizipationsmöglichkeiten für alle Schülerinnen und Schüler in allen Schulstufen ausgebaut werden, etwa über festgelegte Stunden für die Arbeit in Kinder- und Schülerparlamenten, für Tätigkeiten im Klassenrat oder in Schülervertretungen.

Fazit

Der vorliegende Entwurf des LADG NRW sollte so umgestaltet werden, dass er Rechtssicherheit, pädagogische Verantwortung und Vertrauen in den öffentlichen Dienst gleichermaßen stärkt. In seiner jetzigen Fassung vermittelt das Gesetz den Eindruck, ein gesellschaftlich relevantes Thema politisch zu besetzen, ohne die realen Auswirkungen auf die Schulpraxis hinreichend bedacht zu haben.

Der VBE NRW betont abschließend noch einmal, dass er das Ziel eines diskriminierungsfreien öffentlichen Dienstes und einer offenen, pluralen Gesellschaft uneingeschränkt teilt. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur erreichen, wenn Prävention, Bildung und Bewusstseinsförderung im Mittelpunkt stehen – und nicht neue rechtliche Kontrollinstrumente.

Dortmund, 28.11.2025

Anne Deimel                                                  Stefan Behlau

Landesvorsitzende VBE NRW                  Landesvorsitzender VBE NRW

Verband Bildung und Erziehung (VBE)

Landesverband NRW e. V.

Westfalendamm 247

44141 Dortmund

Starke Bildung. Starke Menschen.

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