Anhörung des Ausschusses für Schule und Bildung am 28. Januar 2025
Sehr geehrter Herr Kuper,
sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für Schule und Bildung,
der VBE NRW bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem oben
genannten Entwurf und nimmt diese gerne wahr.
Die vorgesehenen Änderungen der Ausbildungsordnung Grundschule erscheinen auf den ersten Blick minimalinvasiv, bei genauerer Betrachtung greifen sie jedoch deutlich in die Arbeit der Grundschulen in NRW ein:
- Durch die Streichung des § 3 (2) verschwindet der rechtlich grundgelegte Förderunterricht aus der festen Stundentafel für alle Kinder. Aktuell ist dieser Förderunterricht sowohl vorgesehen für Kinder mit Lernschwierigkeiten, damit diese die grundlegenden Lernziele erreichen können, als auch zur Unterstützung von Kindern mit besonderen Fähigkeiten und Interessen. Hier reicht es aus Sicht des VBE NRW auch nicht, auf den § 4 (2) zu verweisen und die beiden Sätze aus dem ehemaligen § 3 (2) in § 4 (1) zu ergänzen, da sie an dieser Stelle einen ganz anderen Stellenwert besitzen.[1] Denn im § 4 (2) geht es um eine Förderung in äußerer Differenzierung, die a) für die vorgesehene Zeit zusätzliche Lehrkräfte und die entsprechenden Räumlichkeiten erforderlich macht und die b) das vorherige Einverständnis der
Eltern voraussetzt. Lehrkräfte und Räumlichkeiten sind bekanntermaßen in nicht ausreichendem Maße vorhanden, aber auch Letzteres sieht der VBE NRW kritisch. Wenn eine Lehrkraft es für ein Kind als notwendig erachtet, dass es in äußerer
Differenzierung gefördert wird, sollte diese Entscheidung der Schule obliegen.
Die Expertise über die Anwendung der notwendigen Maßnahmen zum Erreichen der Bildungsziele obliegt der Lehrkraft im Rahmen ihres Bildungsauftrages. Die Klassenkonferenz und die Schulleitung sollten bei einer solchen Entscheidung fest eingebunden werden. Die informelle Einbeziehung der Eltern ist hierbei ebenso selbstverständlich.
- Durch die Änderung der Stundentafel wird das Lernen in der Grundschule in einen nach Fächern getrennten Unterricht verschoben. Das bisherige durch die Stunden-tafel geforderte und grundgelegte fächerübergreifende Arbeiten verschwindet aus dieser. Die bisherige Verfahrensweise, Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und Förderunterricht gemeinsam in der Stundentafel aufzuführen, hat den Blick der Grundschullehrkräfte über Jahrzehnte geprägt. Bereits durch die Stundentafel wurde die Wichtigkeit sowohl von der notwendigen fachlichen Abgrenzung als auch von
fächerübergreifendem Lernen deutlich. Der nun angestrebte reine Unterricht nach
Fächern ist aus Sicht des VBE NRW rückwärtsgewandt und wird den Anforderungen eines modernen Grundschulunterrichts aus pädagogischer, didaktischer und methodischer Sicht nicht gerecht.
- Der einzige Gestaltungsspielraum, der bleibt, ist die Verteilung der vorgegebenen Stunden für die Fächer Deutsch, Mathematik und Sachunterricht innerhalb der
Stundentafeln der zwei Jahrgänge in der Schuleingangsphase. Das kann genutzt werden, um beispielweise in einem Jahrgang die Anteile eines der Fächer zu verstärken, damit Unterrichtsziele erreicht werden können. Inwieweit diese Möglichkeit in der Praxis genutzt wird bzw. werden kann, bleibt abzuwarten.
- Aktuell ist es üblich, dass jeden Tag sowohl Deutsch als auch Mathematik fest in
der Stundentafel verankert sind. Hinzu kommt, dass der Sachunterricht einerseits geprägt ist durch wesentliche Elemente des Lehrplans Deutsch und andererseits durch die Anwendung und Übung mathematischer Kompetenzen. Gleiches gilt für den Förderunterricht. Dieser wird von den Kolleginnen und Kollegen genutzt, um den Kindern zu ermöglichen, ihre fachlichen Kompetenzen in Deutsch und Mathematik zu vertiefen und auszubauen. Der VBE NRW kritisiert, dass den Schulleitungen der Gestaltungsspielraum in diesem Bereich entzogen wird.
Die „Vereinbarung zur Arbeit in der Grundschule“, aktuelle Beschlusslage der
Kultusministerkonferenz (15. März 2024), berücksichtigt genau diese Situation:
„Dieser Kernbereich wird durch […] einen Mindestumfang von 53 Stunden in der Stundentafel der Grundschule gestärkt. Dieser Anteil schließt die nicht fachgebun-denen ganzheitlichen oder projektorientierten Unterrichtsangebote ein, die insbesondere mathematische und sprachliche Kompetenzen stärken. Bei der Festlegung
eines zeitlichen Umfangs ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass der sprachsensible Unterricht als Unterrichtsprinzip gilt und Sprachbildung Aufgabe aller Fächer ist.“
Für den VBE NRW ist nicht nachvollziehbar, warum im vorgelegten Entwurf diese Stelle zitiert und dennoch eine Änderung der Stundentafel angestrebt wird, da die bisherige Stundentafel bereits den Forderungen der KMK entspricht.
- Der Förderunterricht ermöglicht in seiner bisherigen Form eine effektive sowohl kurzfristige als auch langfristige Förderung von Kindern, für die nun kein realer Ausgleich geschaffen wird. Die Landesregierung weist in der Begründung auf die hohe Akzeptanz hin, wird jedoch dem Anspruch eines notwendigen regelmäßigen Förderunterrichts für viele Kinder nicht gerecht.
- Für die Fächergruppe Kunst und Musik wird weiterhin eine Gesamtunterrichtszeit festgelegt, was vom VBE NRW begrüßt wird.
- Auch begrüßt der VBE NRW, dass der Satz „Der sprachsensible Unterricht gilt als Unterrichtsprinzip, Sprachbildung ist Aufgabe aller Fächer“ aufgenommen wird, kritisiert jedoch, dass der Satz „Der Unterricht ermöglicht während des gesamten Bildungsgangs die Begegnung mit Sprachen“ gestrichen wird. So elementar wichtig es ist, dass Kinder in der Grundschule lernen, möglichst sicher über die deutsche Sprache in allen ihren Facetten zu verfügen, ist es doch ebenso wichtig, dass beispielweise die Mehrsprachigkeit von Kindern mehr in den Fokus gerückt und für das allgemeine Lernen in den Grundschulen genutzt wird. Daher wäre es aus Sicht des VBE NRW wichtig gewesen, ebenfalls die Bedeutung der Mehrsprachigkeit an dieser Stelle aufzunehmen.
- Die bereits für die Sekundarstufe I bestehende Bestimmung für die Kinder aus Familien beruflich Reisender (§ 46 Absatz 3 APO-S I) und die ebenfalls wortgleich übernommene Bestimmungen zur Laborschule Bielefeld sind folgerichtig.
Weiterhin stellt der VBE NRW fest:
In dem vorgelegten Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung der Ausbildungsordnung Grundschule versucht die Landesregierung, den Stellenwert einer individuellen Förderung von Kindern als weiterhin bestehende Aufgabe herauszustellen, versäumt es jedoch, die praktische und unbürokratische Umsetzung in den Grundschulen zu ermöglichen.
Die Schulen werden nun ausschließlich noch darauf hingewiesen, dass ihr schulisches Förderkonzept die möglichen Maßnahmen der äußeren sowie der inneren Differenzierung sowie zusätzliche Förderangebote umfassen kann (s. § 4 [1]). Dies erscheint
praxisfern. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass der Förderunterricht keinen Platz mehr in der Stundentafel der Grundschulen in NRW hat.
Dass die Landesregierung in der aktuellen Mangelsituation in den Schulen in NRW
betont, durch die geplanten Änderungen eine Förderung in Form der inneren Differenzierung stärken zu wollen, kann nur auf Unverständnis stoßen.
Das ist umso weniger verständlich, da viele Kinder in der Grundschule auf das Lernen in Fördergruppen angewiesen sind, um ihre Lernziele erreichen zu können. An vielen Orten in NRW sind die Grundschulklassen für die vorhandene heterogene Schülerinnen- und Schülerschaft schlichtweg zu groß.
Aus Sicht des VBE NRW ist es ein Irrweg, zu meinen, dass der immer restriktiver inhaltlich und methodisch festgelegte Fachunterricht den Kindern in NRW gerecht wird und sie zu einem besseren Leistungsvermögen bringt.
Kinder benötigen zum Lernen neben der vorausgesetzten Fachlichkeit im Unterricht vor allen Dingen vertrauensvolle Beziehungen zu Lehrkräften und damit verbunden Zeit, in der sie individuell begleitet werden.
Dieser Entwurf legt den Fokus der individuellen Förderung auf die innere Differenzierung. Ihre entsprechende tägliche Umsetzung im Unterricht wird von den Kollegien in den Schulen eingefordert. Dieses geschieht sowohl ohne die Bereitstellung einer organisatorischen Unterstützung als auch ohne die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen. Falls die AO-GS in der vorliegenden Form geändert wird, stellt dieser Aspekt einen weiteren Mosaikstein in der immer weiter zunehmenden Überbelastung der Beschäftigten dar.
Auch ist es bedauerlich, dass die Landesregierung im Hinblick auf eine notwendige
Demokratiebildung nicht daran gedacht hat, partizipative Gremien wie einen Klassenrat und das Schülerinnen- und Schülerparlament fest in die Stundentafel aufzunehmen. Hier besteht aus Sicht des VBE NRW deutlicher Änderungsbedarf.
Ebenso wäre es sinnvoll und wichtig, die Ermöglichung von festen Projektzeiten
(z. B. für BNE) in die AO-GS aufzunehmen.
Zudem weist der VBE NRW darauf hin, dass die Landesregierung den Schulleitungen Ruhe und Entlastung versprochen hat. Die vorgesehenen Änderungen bewirken das nicht. Es wird vor Ort viele Gespräche und Erläuterungen mit allen Beteiligten geben müssen, um die Änderungen zu vermitteln.
Im Zusammenhang mit den vorgesehenen Änderungen bekräftigt der VBE NRW abschließend seine Kritik an der Zusammenführung der Fächer Deutsch und Mathematik in einem kombinierten Fachseminar im Rahmen der Lehrkräfteausbildung.
Dortmund, 21.01.2025
Stefan Behlau Anne Deimel
Landesvorsitzender VBE NRW Landesvorsitzende VBE NRW
Verband Bildung und Erziehung (VBE)
Landesverband NRW e. V.
Westfalendamm 247
44141 Dortmund
[1] In § 3 (2) sollen gemäß Entwurf folgende Sätze gestrichen werden: „Der Förderunterricht soll allen Schülerinnen und Schülern zugute kommen. Er trägt dazu bei, dass auch bei Lernschwierigkeiten die grundlegenden Ziele erreicht werden. Er unterstützt besondere Fähigkeiten und Interessen.“
Der § 4 (1) soll folgendermaßen ergänzt werden: „Die individuelle Förderung trägt dazu bei, dass auch bei Lernschwierigkeiten die grundlegenden Ziele erreicht werden. Er unterstützt besondere Fähigkeiten und Interessen.“