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Digitale Resilienz vs. digitaler Burn-out

Seelische Gesundheit in Zeiten der Digitalisierung

Von Sven Steffes-Holländer


„Zukunft ist etwas, das die meisten Menschen erst lieben,
wenn es Vergangenheit geworden ist.“

William Somerset Maugham


Menschen streben nach Verbesserung, Veränderungen, neuen Lösungen, gleichzeitig wünschen sie sich Verlässlichkeit und Sicherheit, wollen, dass alles beim Alten bleibt. Gerade Digitalisierung löst bei Menschen hoch ambivalente Gefühle aus, die in ihrer Widersprüchlichkeit nur schwer zu verstehen sind.

Nur wenige wollen zurück zum Telefonbuch, zum Walkman oder zur faltbaren Landkarte, gleichzeitig werden S-Bahnen gefüllt mit Menschen, die alle gleichzeitig auf digitale Endgeräte starren, als Anzeichen nachlassender sozialer Kompetenz und Mitmenschlichkeit wahrgenommen.

In diesem Artikel möchte ich die Auswirkungen der Digitalisierung auf die seelische Gesundheit von Lehrkräften beleuchten, gehe aber auch darauf ein, wie sie durch den Aufbau digitaler Resilienz geschützt werden kann.

Herausforderungen für Lehrkräfte

Was wir heute wissen, ist, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt, insbesondere das Bildungswesen, grundlegend verändert hat. Was
zunächst als innovative Bereicherung angesehen wurde, bringt jedoch zunehmend Herausforderungen mit sich, die sich auf die psychische Gesundheit der Lehrkräfte auswirken.

Die Integration digitaler Technologien in den Schulalltag bietet sowohl Chancen als auch erhebliche Belastungen. Digitale Tools ermöglichen flexibles Lernen und erweitern den Zugang zu Bildungsressourcen. Doch diese Flexibilität führt auch zu einer Entgrenzung der Arbeit und erhöhtem Druck auf Lehrkräfte.

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2020 zeigte, dass vier von fünf Beschäftigten in Deutschland in den letzten fünf Jahren signifikante Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz durch neue Technologien erfahren haben. Die Wissenschaftler*innen haben anhand einer Befragung von über 5.000 Erwerbstätigen untersucht, inwiefern mit dieser Entwicklung „digitaler Stress“ verbunden ist.

Dabei konnten sie zwölf Belastungsfaktoren wie z. B. Unzuverlässigkeit der Technologie, Leistungsüberwachung, ständige Unterbrechung des Arbeitsprozesses und Überflutung mit Informationen identifizieren, die bei der Arbeit mit digitalen Medien und Technologien eine Rolle spielen.

Laut Deutschem Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung von 2024 denkt die Mehrheit der Lehrkräfte (78 %), dass der Einsatz von digitalen Medien den Unterricht positiv verändert. Dennoch fühlt sich aktuell nur die Hälfte der Lehrkräfte (51 %) gut auf einen digital gestützten Unterricht vorbereitet.

Digitaler Stress kann der Studie zufolge ernste Folgen haben: Die Erschöpfung nimmt zu, die Betroffenen fühlen sich gereizt, haben Probleme, von der Arbeit abzuschalten, denken eher daran, den Job zu wechseln, zeigen schlechtere Leistung und sind unzufriedener. Dadurch nimmt das Burn-out-Risiko zu.

Für Lehrkräfte bedeutet die Digitalisierung nicht nur die Einführung neuer Lehrmethoden, sondern auch eine ständig wachsende Anzahl an administrativen Aufgaben und die Notwendigkeit, immer erreichbar zu sein. Dies trägt zur Entstehung des sogenannten „digitalen Stresses“ bei.

Psychische Erkrankungen als Stressfolge

Doch zuerst einmal eine gute Nachricht: Das zuvor zitierte Schulbarometer zeigt, dass ein großer Anteil von Lehrkräften (90 %) und Schulleitungen (96 %) in Deutschland zufrieden mit dem Beruf und der jeweiligen Schule sind. Erstaunlich hohe Zahlen im Angesicht der aktuellen Herausforderungen im Lehrbetrieb, bei denen die Digitalisierung nur einen unter vielen Belastungsfaktoren. Doch auch das, was ich mag, kann mich krank machen.

Kontinuierlicher digitaler Stress kann als Belastungsfaktor die Entstehung von unterschiedlichen Stressfolgeerkrankungen begünstigen, die sich körperlich z. B. in Form von Bluthochdruck, Übergewicht oder Spannungskopfschmerz äußern können, noch häufiger jedoch zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen führen.

Anhaltender Stress und Überlastung erhöhen das Risiko für depressive Episoden, können Angststörungen auslösen oder verschärfen, zu Schlafstörungen führen, die wiederum die psychische Gesundheit weiter beeinträchtigen.

Digitaler Burn-out: ein wachsendes Risiko

Burn-out ist bekannt als ein Zustand emotionaler, mentaler und physischer Erschöpfung, der durch anhaltenden Stress ohne ausreichende Erholungsphasen entsteht. Die Digitalisierung verstärkt dieses Risiko, indem sie die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zunehmend verwischt.

Das Deutsche Schulbarometer zeigte, dass sich viele Lehrkräfte emotional erschöpft fühlen. Nach Schulform getrennt zeigten Lehrkräfte an Grundschulen eine höhere Erschöpfung. Interessanterweise zeigten Lehrende, die durch einen Quer- oder Seiteneinstieg in den Lehrberuf eingetreten sind, geringere Erschöpfungswerte als Lehrkräfte mit einer traditionellen Lehramtsausbildung. Der Vergleich mit internationalen Ergebnissen zeigen für Deutschland höhere Werte in der emotionalen Erschöpfung, und aber auch niedrigere Werte im Zynismus. Alarmierend ist, dass über 36 % der Lehrkräfte oder Schulleitungen berichteten, sich mindestens mehrmals in der Woche erschöpft zu fühlen, 12 % sogar täglich. Erschreckende Werte. Doch wie können sich Schulleitungen und Lehrkräfte vor digitalem Burn-out schützen?

Digitale Resilienz als Schutzfaktor

„Belastbarkeit unterscheidet sich davon, taub zu sein. Resilienz bedeutet, dass man Erfahrungen macht, fühlt, versagt, verletzt. Du fällst. Aber du machst weiter.“ So beschreibt die US-amerikanische Pädagogin Yasmin Mogahed zentrale Aspekte des „Immunsystems der Seele“. Digitale Resilienz beschreibt folglich die Fähigkeit, den Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt erfolgreich zu begegnen, und ist damit ein entscheidender Schutzfaktor gegen digitalen Burn-out.

Diese Form der Resilienz umfasst nicht nur technisches Know-how, sondern auch die Fähigkeit, sich von digitalem Stress zu erholen und eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden. Die digitale Welt erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Resiliente Lehrkräfte profitieren von der Bereitschaft, sich kontinuierlich mit Technologien und neuen Arbeitsmethoden auseinanderzusetzen. Auch das lebenslange Lernen, das Bewusstsein, das Leben als stetigen Lernprozess wahrzunehmen und sich neue Fähigkeiten anzueignen, ist ein wichtiger Resilienzfaktor.

Ein weiterer zentraler Aspekt zur Förderung der digitalen Widerstandsfähigkeit ist die soziale Unterstützung. Soziale Netzwerke innerhalb der Schule, wie Peer-Mentoring-Programme, bieten Lehrkräften die Möglichkeit, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Soziale Unterstützung trägt in hohem Maße zur psychischen Widerstandsfähigkeit bei.

“Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern
und die anderen Windmühlen.”

(Chinesisches Sprichwort)


Maßnahmen zur Förderung der digitalen Resilienz

Um die seelische Gesundheit von Lehrkräften in Zeiten der Digitalisierung zu schützen, sind gezielte Maßnahmen zur Förderung der digitalen Resilienz notwendig. Dazu gehören:

1. Weiterbildung und Schulungen:
Lehrkräfte müssen kontinuierlich in der Nutzung digitaler Technologien geschult werden. Fortbildungen, die nicht nur technische Fertigkeiten vermitteln, sondern auch Strategien zur Stressbewältigung und zum Zeitmanagement beinhalten, sind von entscheidender Bedeutung. Dazu gehören Achtsamkeitspraktiken, Entspannungstechniken wie Meditation oder Yoga sowie Methoden zur Stressreduktion wie regelmäßige Pausen und körperliche Bewegung.

2. Klare Abgrenzung von Arbeits- und Freizeit:
Es ist wichtig, dass Lehrkräfte die Möglichkeit haben, sich bewusst von der digitalen Welt abzuschalten. Dies kann durch klare Kommunikationsregeln und die Einführung digitalfreier Zeiten erreicht werden. Digital Detox beugt dauerhafter Reizüberflutung vor.

3. Soziale Unterstützung:
Schulen sollten den Aufbau von Unterstützungsnetzwerken fördern. Peer-Mentoring und kollegiale Beratung können dabei helfen, den Austausch über den Umgang mit digitalen Herausforderungen zu fördern und gemeinsame Lösungsstrategien zu entwickeln.

4. Gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen:
Schulen sollten darauf achten, dass die Arbeitsbelastung durch die Digitalisierung nicht zu einer Überforderung führt. Dazu gehört auch eine angemessene technische Ausstattung und die Bereitstellung von entsprechenden Ressourcen zur Unterstützung der Lehrkräfte.

Die Rolle der Schulleitungen

Schulleitungen spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung der digitalen Resilienz. Sie sind dafür verantwortlich, eine Kultur zu schaffen, die den bewussten Umgang mit digitalen Technologien fördert und den Lehrkräften die nötige Unterstützung bietet. Eine Untersuchung der Kooperationsstelle der Universität Göttingen hat gezeigt, dass Lehrkräfte an Schulen, die eine klare Strategie zur Digitalisierung haben und ihre Mitarbeiter regelmäßig schulen, deutlich weniger von digitalem Stress betroffen sind.

Gleichzeitig benötigen Schulleitungen eine Sensibilität dafür, dass die Einführung neuer Technologien nicht zu einer zusätzlichen Belastung für die Lehrkräfte wird. Die Einführung digitaler Tools sollte immer auch von entsprechenden Entlastungsmaßnahmen begleitet werden, sonst laufen wir Gefahr, unsere Lehrkräfte dauerhaft zu überlasten. Schulleitungen sind gleichzeitig Rollenmodelle für ihre Mitarbeitenden sowie Lehrkräfte Rollenmodelle für ihre Schüler*innen sind – im Positiven wie im Negativen.

Was können wir lernen?

Die Digitalisierung bietet im Bildungswesen enorme Chancen. Um die seelische Gesundheit zu schützen und digitalem Burnout vorzubeugen, ist es entscheidend, digitale Resilienz zu entwickeln und zu fördern. Dies erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch ein bewusstes Management der eigenen Belastung und eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit.

Wie Studien zeigen, ist die Unterstützung durch das soziale Umfeld und die kontinuierliche Weiterbildung der Lehrkräfte von entscheidender Bedeutung.

Schulleitungen und Ministerien sollten hier eine aktive Rolle spielen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Lehrkräften ermöglichen, die Herausforderungen der Digitalisierung gesund zu bewältigen. Nur so kann der digitale Wandel erfolgreich gestaltet werden, ohne die seelische Gesundheit der Lehrkräfte aufs Spiel zu setzen.

Quellen

Gimpel, H. et al. (2020). Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit: Eine beispielhafte Darstellung der Faktoren, die digitalen Stress hervorrufen, Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT. Hans-Böckler-Stiftung.

Mußmann, F., Hardwig, T. (2024). Arbeitspapier zur Arbeitsbelastung Berliner Lehrkräfte Nr. 3: Die Umsetzung des digital unterstützten Lehrens und Lernens ist für Berliner Lehrkräfte derzeit mit starkem digitalen Stress und erhöhten Belastungen verbunden, Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften Göttingen.

Robert Bosch Stiftung (2024). Deutsches Schulbarometer: Befragung Lehrkräfte. Ergebnisse zur aktuellen Lage an allgemein- und berufsbildenden Schulen. Robert Bosch Stiftung



Sven Steffes-Holländer, Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin und Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Sozialmediziner, Supervisor und Berater im Betrieblichen Gesundheitsmanagement.




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