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Rahmenbedingungen absichern

Interview mit Barbara Nolte, VBE-NRW-Referentin für die Erzieherinnen und Erzieher sowie Doris Feldmann, Beisitzerin Frühkindliche Bildung und Sozialpädagogische Berufe im VBE-Landesvorstand




Kindertagesstätten spielen eine entscheidende Rolle in der frühkindlichen Bildung, Entwicklung und Erziehung. Sie sind nicht nur Orte der Betreuung, sondern auch wichtige Lernumgebungen für unsere jüngsten Mitglieder der Gesellschaft. Die Herausforderungen, vor denen Kitas und die Beschäftigten stehen, sind vielfältig und anspruchsvoll. Frau Nolte, was sind die aktuellen Anforderungen in den Kitas? Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?

Kindertagesstätten spielen eine entscheidende Rolle in der frühkindlichen Bildung, Entwicklung und Erziehung. Sie sind nicht nur Orte der Betreuung, sondern auch wichtige Lernumgebungen für unsere jüngsten Mitglieder der Gesellschaft. Die Herausforderungen, vor denen Kitas und die Beschäftigten stehen, sind vielfältig und anspruchsvoll. Frau Nolte, was sind die aktuellen Anforderungen in den Kitas? Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Barbara Nolte: Die aktuellen Anforderungen an die Erzieher und Erzieherinnen in den Kindertageseinrichtungen steigen immer mehr. Dazu gehören an erster Stelle die Gewinnung von qualifizierten Fachkräften und Kitaleitungen, denn der Personalmangel belastet den Kitalltag und die Mitarbeitenden enorm. Dazu gehören aber auch die Schaffung eines bedarfsgerechten Angebotes mit immer flexibleren Öffnungszeiten zur Vereinbarung von Familie und Beruf, die gestiegenen Förderbedarfe in der Entwicklung der Kinder u. v. m. Die pädagogischen Fachkräfte und Kitaleitungen wünschen sich Zeit für die Gestaltung eines guten und pädagogisch hochwertigen Kitaalltags, der den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien gerecht wird. Die Erzieher/-innen identifizieren sich mit ihrer Aufgabe und dem gegenüber stehen die steigenden Anforderungen und die qualitativ nicht abgesicherten Rahmenbedingungen. In diesem Spagat sind Überbelastungen in den Teams vorprogrammiert und die qualitativ hochwertige Arbeit, die Erzieherinnen und Erzieher leisten wollen, bleibt auf der Strecke. Der Dreh- und Angelpunkt in der aktuellen Situation ist und bleibt der Fachkräftemangel und fehlende festgeschriebene Verfügungszeiten.

Doris Feldmann: Die Arbeit in den Kitas war immer herausfordernd – aktuell nehmen wir aber wahr, dass der Einsatz der Beschäftigten z. T. weit über die Belastungsgrenze hinausgeht. Der enorme Personalmangel und langfristige Erkrankungen lassen sich nicht länger durch das Engagement der Erzieherinnen und Erzieher kompensieren, die noch vor Ort sind. Viele zerbrechen daran, dass sie bei der Betreuung, Erziehung und Bildung der Kinder hinter ihrem eigenen Anspruch zurückbleiben müssen. Nachvollziehbare Ansprüche von Eltern auf eine verlässliche Betreuung und die Gesunderhaltung und Fürsorge für Beschäftigte scheinen unvereinbar und führen zwangsläufig zu immensen Konflikten. Gerade für Kita-Leitungen ist das ein großes Spannungsfeld. Wichtig sind z. B. verbindliche und transparente Kriterien für Notfallpläne – die den Leitungen den Rücken stärken.




Unsere Umfrage unter Kitaleitungen zeigt erneut, dass der Fachkräftemangel, das Kita-Personal, die Kinder und die Familien belastet. Was ist aus Ihrer Sicht konkret nötig, um hier Verbesserungen zu schaffen?

Unsere Umfrage unter Kitaleitungen zeigt erneut, dass der Fachkräftemangel, das Kita-Personal, die Kinder und die Familien belastet. Was ist aus Ihrer Sicht konkret nötig, um hier Verbesserungen zu schaffen?
In den vergangenen Jahren hat es vor allem einen starken quantitativen Ausbau an Kitaplätzen gegeben. Dem gegenüber stehen der Fachkräftemangel und keine echte Forschung in Bezug auf die Entwicklung der pädagogischen Qualität. Es ist viel Geld in Qualitätsentwicklung und Personalgewinnungsmaßnahmen geflossen. Wir brauchen im Elementarbereich einen wirklichen Blick auf die Prozessqualität, um genau hinzuschauen, wo können wir in den Kitas entlasten und welche Prozesse steigern die Bildungs- und Erziehungsqualität in der Interaktion von Erzieherinnen und Erziehern, Kindern und ihren Familien. Es muss neben der Umsetzung der Fachkraft-Kind-Relation gelingen die zentralen wirksamen Maßnahmen zu identifizieren, die zur Verbesserung der pädagogischen Arbeit führen, die die pädagogische Interaktion, Anregung und Förderung sichern. Dabei muss auch der Alltag von Bürokratie entlastet werden und neben der Qualität in der Kita auch die Trägerqualität in den Mittelpunkt gerückt werden, denn diese tragen die Verantwortung für die Rahmenbedingungen vor Ort. Es gibt viele kleine Stellschrauben, doch ich denke wir brauchen aktuell einen langen Atem, um wirklich greifende Verbesserungen zu erreichen.

In den Kitas fehlen notwendige Ressourcen – aber auch die Arbeitsbedingungen sind verbesserungswürdig. Der VBE NRW erinnert die Politik mit Nachdruck an gute Rahmenbedingungen. Ganz klar: Es geht um Personalgewinnung. Ganz besonders geht es aber auch darum, die in den Blick zu nehmen, die den Laden trotz widrigster Umstände am Laufen halten. Es geht um Wertschätzung und konkrete Entlastung – z. B. durch eine bessere Fachkraft-Kind- Relation oder mehr Leitungszeit. Professionalität ist auch – bzw. gerade – in stürmischen Zeiten unverzichtbar. Weder der Personalschlüssel noch die Qualifizierung dürfen sich verringern! Multiprofessionelle Teams sind ein Gewinn – aber eben nur dann, wenn es nicht nur um „Multi“ sondern auch um “Professionalität“ geht.




Die wichtige Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit von Erzieherinnen und Erziehern verdient die besten Bedingungen und spürbare Anerkennung. Angemessene und attraktive Arbeitsbedingungen sind nötig, um mehr Fachkräfte zu gewinnen. Inwiefern sollte sich dies schon in der Ausbildung widerspiegeln?

Die wichtige Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit von Erzieherinnen und Erziehern verdient die besten Bedingungen und spürbare Anerkennung. Angemessene und attraktive Arbeitsbedingungen sind nötig, um mehr Fachkräfte zu gewinnen. Inwiefern sollte sich dies schon in der Ausbildung widerspiegeln?
Immer wieder begegnet uns auch die Diskussion um die Absenkung von Standards im Zugang zur Erzieher-/ Erzieherinnenausbildung. Dem entgegen steht der Auftrag Bildung, Betreuung und Erziehung und die Vergleichbarkeit im europäischen Raum. Es muss unser Ziel sein, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Um die Vergütung attraktiv zu gestalten und weiter zu entwickeln, darf es daher nicht zur Absenkung von Standards kommen. Zudem sollen Kooperationen mit dem wissenschaftlichen Bereich neue Möglichkeiten in der klassischen Erzieher-/Erzieherinnenausbildung zur Aufwertung und weiteren Fachkräftegewinnung geschaffen werden. Die PIA-Ausbildung in NRW ist ein zielführender Schritt in die richtige Richtung, allerdings ist es wesentlich, dass auch die klassische Ausbildung weiter möglich ist. Dabei muss das AusbildungsBafög gesichert sein und Anträge wesentlich schneller bearbeitet werden, damit junge Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, zumindest aus diesem Grund nicht vorzeitig abbrechen. Während eines Praktikums oder der Ausbildung sind die Auszubildenden angemessen anzuleiten und zu begleiten.

Gute Ausbildungsbedingungen sind im wahrsten Sinne des Wortes „grundlegend“ für die Aufwertung des Arbeitsfeldes. Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern muss sich entsprechend der aktuellen Herausforderungen weiterentwickeln. Neben dem Berufsfeld selbst müssen auch die Rahmenbedingungen für die Ausbildung attraktiver werden – auch in finanzieller Hinsicht. Hierauf hat der VBE immer wieder aufmerksam gemacht. Wir werden mit erweiterten Zielgruppen neue Ausbildungswege brauchen – gleichzeitig muss einem deutlich höheren Anteil der Beschäftigten im Elementarbereich eine (Fach-) Hochschulausbildung ermöglicht werden.




Im Rahmen der Tarifverhandlungen für den TVöD und TV-L wurden im letzten Jahr deutliche Verbesserungen erzielt und damit ein Zeichen für Wertschätzung gesetzt. Frau Feldmann, wie wichtig ist das erzielte Ergebnis, um das Personal in den Kitas angemessen zu stärken?

Im Rahmen der Tarifverhandlungen für den TVöD und TV-L wurden im letzten Jahr deutliche Verbesserungen erzielt und damit ein Zeichen für Wertschätzung gesetzt. Frau Feldmann, wie wichtig ist das erzielte Ergebnis, um das Personal in den Kitas angemessen zu stärken?
Über die Frage, ob NRW junge Menschen für den Erzieher/-innen-Beruf gewinnt, entscheiden sehr stark auch die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen. Die Erzieherinnen und Erzieher, die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes leisten tagtäglich ausgesprochen wertvolle Arbeit, die es anzuerkennen galt und weiterhin gilt. Wer Qualität in der frühkindlichen Bildung erwartet, muss sie auch bezahlen. Insofern war das erzielte Ergebnis ein sehr wichtiges Signal sowohl für die Beschäftigten als auch für die Attraktivität des Arbeitsfeldes. Wir bleiben dran!




Frau Nolte, was erwarten Sie sich von der anstehenden KiBiz- Revision?

Frau Nolte, was erwarten Sie sich von der anstehenden KiBiz- Revision?
An die anstehende KiBiz-Revision habe ich unterschiedliche Erwartungen. Sie ist seit langem überfällig und wird sich auch noch weiter hinziehen. Als erstes fordern wir eine wirklich auskömmliche Finanzierung, die die tatsächlichen Kosten im Personal- und Sachkostenbereich abdeckt. Es ist wesentlich, das Grundkonstrukt der Finanzierung durch Kindpauschalen aufzuheben. Dabei muss es eine Grundfinanzierung für alle geben, die dem Anforderungsprofil aus dem SGB und KiBiz gerecht wird. Im Personalbereich muss es endlich zur Ausweisung eines Personalschlüssels kommen. Dabei muss auch endlich ernst gemacht werden mit der Festsetzung von Verfügungszeiten, denn gute pädagogische Arbeit fällt nicht vom Himmel, sondern braucht gute Planungs- und Reflexionszeiten. Darüber hinaus müssen Zeitanteile für zusätzliche Aufgaben, wie z. B. Praktikantenanleitung, Sprachbildung, Elternbegleitung etc. ausgeweitet und festgeschrieben werden, um als Bestandteile des KiBiz auch gelebt werden zu können. Zusätzliches Personal für zusätzliche Aufgaben müssen im KiBiz abgesichert werden. Wichtig ist bei allen anstehenden Diskussionen, dass eine Basis geschaffen wird, die die pädagogischen Prozesse in der Kindertageseinrichtung qualitativ absichert und additive Leistungen, wie z. B. die Familienzentren nicht nur in Geldwerten sondern auch in fachlicher Expertise weiterdenken. Die politisch Verantwortlichen müssen sich ehrlich machen, wer gute und qualitative Bildung will, muss diese nicht nur fordern, sondern auch so gestalten, dass sie in der Praxis entwickelt und gelebt werden kann und wir als VBE NRW werden diesen Prozess aktiv, kritisch und konstruktiv begleiten.





Starke Bildung. Starke Menschen.

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