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Stellungnahme des VBE NRW zum Antrag der Fraktion der SPD Selbstverständnis „Demokratie“ – eine Aufgabe, die alle angeht.

Stellungnahme des VBE NRW zum Antrag der Fraktion der SPD
Selbstverständnis „Demokratie“ – eine Aufgabe, die alle angeht. Verbindliche Woche der Demokratie in allen Bildungsstätten (Drucks­ache 18/7196)
Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Schule und Bildung am 18.04.2024


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Die Stellungnahme können Sie hier als PDF downloaden.




Sehr geehrter Herr Kuper,

für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum oben genannten Antrag danken wir Ihnen und nehmen diese gerne wahr.

Mit großer Sorge beobachtet der VBE NRW, dass (rechts-)extreme Einstellungen in den vergangenen Jahren gestiegen sind und immer weiter Einzug halten in die Mitte der Gesellschaft. Mittlerweile verfügt jede zwölfte in Deutschland lebende Person über ein rechtsextremes Weltbild, auch die Zahl derer, die eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland befürworten, ist gemäß der „Mitte-Studie“ auf 6 % angestiegen[1]. Fast zwei Drittel der Bevölkerung (62 %) spricht Israel in einer repräsentativen Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung[2] das Existenzrecht ab – ein Wert, der in den Jahren 2021 bis 2022 erhoben worden ist. Im „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung wird ein „erschreckender Anstieg antisemitischer Vorfälle“ identifiziert, aber auch „verstärkt wahrnehmbare antimuslimische Anfeindungen“ (S. 10)[3]. Es sind derzeit vor allem diese beiden Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die den sozialen Zusammenhalt massiv herausfordern.

Vor diesem Hintergrund sieht der VBE NRW die dringende Notwendigkeit einer Stärkung der Demokratiebildung und begrüßt in diesem Sinne den o.g. Antrag der SPD-Fraktion, wenngleich dieser einige zentrale Aspekte vermissen lässt, die es im Zuge der Umsetzung zu berücksichtigen gilt.

Die vorgeschlagene, verpflichtende „Woche der Demokratie“ für alle Bildungsinstitutionen kann als Motor dazu dienen, Demokratie als essenzielle Querschnittsaufgabe langfristig zu etablieren. Dies impliziert zum einen, dass das Thema „Demokratie“ (insb. in Kindertagesstätten und Schulen) noch nicht hinreichend verankert ist. Wir erleben seitens der Kolleginnen und Kollegen eine hohe Bereitschaft, entsprechende Maßnahmen und Projekte zu realisieren. Es mangelt allerdings an förderlichen Rahmenbedingungen, besonders an notwendigen Zeitressourcen. Zum anderen darf eine „Woche der Demokratie“ keine singuläre bzw. isolierte Maßnahme bleiben, deren positive Effekte bestenfalls mittelfristig wieder verpuffen.

Eine auf Dauer angelegte Demokratiebildung lässt sich nur durch strukturelle Veränderungen realisieren, für die rechtlich verankerte Verbindlichkeiten als stützendes Instrument erforderlich sind.

Eine demokratische und partizipative Schule bezieht in ihrem Kern die Beschäftigten, die Schülerinnen und Schüler und ebenso die Erziehungsberechtigten mit ein.

Die Beschäftigten benötigen hierzu vor allem höhere Freistellungen für Tätigkeiten im Zusammenhang von Partizipation und Demokratie. Beispielsweise stehen nicht allen Mitgliedern des Lehrerrats und Ansprechpersonen für Gleichstellungsfragen notwendige Anrechnungsstunden zur Verfügung.

Um Demokratie als lebendigen Teil einer Schulkultur zu etablieren, müssen gleichermaßen die Partizipationsmöglichkeiten für alle Schülerinnen und Schüler in allen Schulstufen ausgebaut werden – bspw. über festgelegte Stunden für die Arbeit in Kinder- und Schülerparlamenten, für Tätigkeiten im Klassenrat oder in Schülervertretungen. Demokratiebildung benötigt eine systemische Umsetzung. Ziel sollte es sein, dass das Denken und Handeln für die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Menschenwürde die Basis der von allen Beteiligten getragenen Unterrichts- und Schulkultur sind.

Für ein lebendiges demokratisches Miteinander benötigen Schulen allerdings nicht nur Zeit, sondern auch eine entsprechende Ausstattung (Materialien, Räume) sowie die Möglichkeit zu vielfältigen Fort- und Weiterbildungen der Beschäftigten. Diese sollten  Fragen zur institutionellen Entwicklung demokratischer Strukturen und Unterstützungsmöglichkeiten im Umgang mit Diskriminierung und Bedrohung beinhalten. Lehrkräfte benötigen zusätzlich dringend Schulungen für den Umgang mit der Verbreitung von (rechts-)extremistischen Inhalten über die sozialen Medien, hier insbesondere über TikTok.

Nicht wenige Pädagoginnen und Pädagogen sind derzeit verunsichert und fragen sich, inwieweit sie bspw. gegen rassistische Äußerungen im Unterricht aktiv werden können und sollen.

Einen Beitrag zu diesen Unsicherheiten leistet bedauerlicherweise etwa die Erzählung, dass der Beutelsbacher Konsens ein Neutralitätsgebot im Sinne eines Verbotes für Lehrkräfte vorschrei­be, sich im professionellen Kontext politisch zu äußern. Diese falsche Auslegung des Kontroversitätsgebotes steht im Widerspruch nicht nur zum Beutelsbacher Konsens selbst, sondern auch zum grundlegenden Bildungs- und Erziehungsauftrag von Kita und Schule. So heißt es bspw. im nordrhein-westfälischen Schulgesetz: „Die Schule unterrichtet und erzieht junge Menschen auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung“ (§ 2, Absatz 1), und einen Absatz später steht geschrieben: „Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, […]“ (§ 2, Absatz 2).[4]

Die Landesregierung steht somit an verschiedenen Stellen in der Pflicht, eine Planungs- und Handlungssicherheit für alle beteiligten Akteurinnen und Akteure herzustellen.

Wenn es gelingt, Demokratie und Partizipation im gesamten Bildungssystem grundzulegen, erfahren Kinder und Jugendliche eine Form der Selbstwirksamkeit, die sie durch ihr Leben tragen wird. Es wird ihnen ein tief verwurzeltes Anliegen sein, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen und für diese einzutreten.

Dortmund, 11.04.2024

Anne Deimel                                                           Stefan Behlau

Landesvorsitzende VBE NRW                             Landesvorsitzender VBE NRW



[1] Zick, A., Küpper, B. & Mokros, N. (2023). Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Dietz.Verfügbar unter: https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=91776&token=3821fe2a05aff649791e9e7ebdb18eabdae3e0fd [14.03.2024]

[2] Hirndorf, D. (2023). Antisemitische Einstellungen in Deutschland. Konrad-Adenauer-Stiftung. Verfügbar unter: https://www.kas.de/documents/252038/22161843/Antisemitische+Einstellungen+in+Deut schland.pdf/cead70cb-a767-65f8-82a1-5f3537c409d1?version=1.0&t=1689845078953 [14.03.2024]

[3] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). (2023). Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/0RZ_BS-0302_Religionsmonitor_kompakt_web.pdf [14.03.2024]

[4] Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2022). Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen. Verfügbar unter: https://bass.schul-welt.de/6043.htm#1-1p2 [15.03.2024]




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