Interview mit Christoph Mewes
Im VBE NRW befasst sich das Referat Schulleitung intensiv mit den Themen und Herausforderungen von Schulleitungen in NRW. Schule heute hat mit Christoph Mewes, Leiter des VBE-Referates Schulleitung, über die Arbeit im Referat und die Themen und Herausforderungen, die Schulleitungen derzeit unter den Nägeln brennen, gesprochen:
Können Sie uns einen Überblick über die Aufgaben und Ziele des Referates Schulleitung geben? Welche Themen und Verantwortungsbereiche stehen im Fokus Ihrer täglichen Arbeit im Referat?
Das Referat Schulleitung ist wie die anderen Referate im VBE durch den Landesvorstand eingesetzt. Es ist besetzt mit Schulleiterinnen und Schulleitern aus unterschiedlichen Schulformen aus dem ganzen Land. Unsere Aufgabe ist es, bildungs- und berufspolitische Themenfelder aus Sicht der Schulleitung zu betrachten, Problemfelder zu analysieren und Wege neu zu denken. Dabei sind wir immer bemüht, die Breite an unterschiedlichen Interessen der Schulleitungen im Land zu bündeln. Auch Schulleitungen sind von Ihrer Persönlichkeit, in ihrem jeweiligen Leitungshandeln und in der gelebten Führungskultur sehr vielfältig. Manche Kolleginnen und Kollegen wünschen sich zum Beispiel detaillierte Vorgaben, um Sicherheit, Verlässlichkeit, Entlastung und auch Vergleichbarkeit unter Schulen im Alltagshandeln zu haben, andere Schulleitungen wünschen sich dagegen eher weniger oder weniger klare Vorgaben, um mehr Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort zu haben, und natürlich bewegen sich Schulleitungen je nach Thema auch zwischen diesen beiden hier sehr gegensätzlich dargestellten Ausprägungen. Wichtig ist mir: Alle Ausprägungen sind gut, berechtigt und wollen gehört und vertreten werden. Unser Referat Schulleitung hat in seiner neuen Zusammensetzung im Frühjahr 2023 nach der letzten Delegiertenversammlung des VBE NRW die Arbeit aufgenommen. Wir arbeiten seit einigen Monaten daran, unser gemeinsames Verständnis von „Schulleitung als Beruf der Zukunft“ umfassend und auf Grundlage des Zukunftsprogramms des VBE zu skizzieren. Besonderes Anliegen ist uns dabei, Schulleitung als eigenständige Profession in den Blick zu nehmen, verbunden mit der Frage, wie Schulleitung als Beruf der Zukunft gestaltet werden kann. Handlungsleitend war und ist auch heute noch immer der Gedanke, gemeinschaftlich Ideen und Positionen zu erarbeiten unter dem Motto: „Was kann, was sollte man verbessern?“ Aktuell beschäftigen wir uns ganz konkret mit Ideen zum Thema „Leitungszeit“.
Welche Themen oder Herausforderungen brennen Ihnen und den Schulleitungen derzeit besonders „unter den Nägeln“?
Hier sind die Themen zu nennen, die im Prinzip schon seit Jahren Thema sind, und die sich in den vergangenen Jahren zunehmend zugespitzt haben. Das größte Problem für die Schulleitungen persönlich ist die immer größer gewordene Entgrenzung der eigenen Arbeitszeit. Durch Multiprofessionalität – über die wir uns grundsätzlich freuen – ist zum Beispiel der Bereich der Personalführung immer umfangreicher geworden. Alle neuen Kolleginnen und Kollegen wollen eingearbeitet werden. Dies gilt vor allem auch für Seiteneinsteiger und Vertretungskräfte, die nicht grundständig ausgebildet sind, bis hin zu den Integrationsfachkräften. Die Einarbeitung – und schon die Einstellungsverfahren – werden immer häufiger und immer schwieriger. Auch in die Elternberatung sind wir beispielsweise zunehmend eingebunden, weil Schülerinnen und Schüler mit den verschiedensten „Päckchen“ und Verhaltensweisen in die Schule kommen, mit denen wir umgehen müssen. Das größte systemische Problem ist aber auch für die Schulleitungen aktuell der Personalmangel, dieser hat im Schulalltag für Schulleitungen Auswirkungen in vielen Dimensionen. Bei der Stundenplanung mit der Frage, wie die Stundentafel erfüllt werden kann, im laufenden Schuljahr dann immer wieder mit dem Dilemma, einerseits Mehrarbeit anordnen zu müssen und andererseits im Sinne der Fürsorgepflicht die Belastung der Kolleginnen und Kollegen an der eigenen Schule im Blick zu haben. Teilweise müssen an Schulen Stundenpläne innerhalb eines Schulhalbjahres immer wieder umgestellt werden, weil es Ausfälle oder personelle Veränderungen gibt. Hinzu kommt dann durch Abordnungsmaßnahmen in vielen Schulen die Situation, dass es bis weit in die Sommerferien hinein keine Planungssicherheit gibt. Der Personalmangel ist nach meiner Einschätzung der größte Belastungsfaktor für alle Kolleginnen und Kollegen in den Schulen. Aber auch der gestiegene Umfang an Verwaltungstätigkeiten ist in dem Zusammenhang zu nennen. Durch diese und viele andere Aufgaben im Schulalltag wird Arbeitszeit entgrenzt und die Belastungssituation von Schulleitungen ist immer weiter ausgeufert. Eigentlich sind viele Schulleitungen ja Schulleitung geworden, weil sie Schule gestalten und Schul-, Unterrichtsund Personalentwicklung als „Motor“ vorantreiben wollen – doch dafür bleibt leider immer weniger Zeit. Aus diesem Grund befassen wir uns aktuell intensiv mit dem Thema „Leitungszeit“ – hier muss eine deutliche Ausweitung erfolgen. Natürlich ist es besonders wichtig, die Frage der Besoldungsanpassung zu klären. Wenn ab 2026 alle Lehrkräfte nach A13 besoldet werden – was wir sehr begrüßen – müssen auch für Schulleitungen, stellvertretende Schulleitungen und Beförderungsämter Besoldungsanpassungen erfolgen, damit diese Stellen weiter attraktiv bleiben. Hier muss die Landesregierung ihren Koalitionsvertrag einhalten und liefern. In Beratungsgesprächen können wir zurzeit immer nur wieder ermuntern, selbstbewusst gute Entscheidungen vor Ort zu treffen, Schwerpunkte zu setzen und dabei die eigene Gesundheit im Blick zu haben.
Wie gehen Sie mit den aktuellen Herausforderungen um? Wo sollte wie gehandelt werden? Welche Unterstützung oder Ressourcen würden Sie sich für die Schulleitungen wünschen, um Ihre Arbeit noch effektiver gestalten zu können?
Wir als Referat Schulleitung setzen uns sehr dafür ein, die Eigenverantwortung der Schulen zu stärken. Natürlich muss genau geschaut werden, in welchen Bereichen mehr Eigenverantwortung die Schulen insgesamt stärkt. Eine Stärkung der Eigenverantwortung darf nicht zum Abwälzen vor allem verwaltungstechnischer Aufgaben führen, die Stärkung der Eigenverantwortung muss in erster Linie eine Stärkung auf pädagogischer Ebene bedeuten. Schulleitungen im Zusammenspiel mit dem Kollegium kennen die Bedarfe der Schülerschaft vor Ort und gehen verantwortungsvoll mit ihren Entscheidungsmöglichkeiten um. In diesem Zusammenhang besteht auch der Wunsch, dass Schulaufsicht vor allem beratend und den Rücken stärkend agiert. Auch die Frage der Schulfinanzierung, und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Zusammenarbeit mit den Schulträgern, ist immer wieder Thema in unserem Referat. Wenn durch Haushaltssicherungsmaßnahmen in Kommunen zum Beispiel plötzlich kein Geld mehr für die Schulen zur Verfügung steht, leidet die tägliche Arbeit. Die Forderung ist deshalb auch ein ausreichendes eigenes Schulbudget für jede Schule, über das die Schulleitung in Absprache mit den entsprechenden Mitwirkungsgremien entscheidet. Auch die Fortbildungsbudgets für die Schulen sind inzwischen deutlich zu niedrig und müssten mindestens verdoppelt werden, um den Fortbildungswünschen und -bedarfen in Kollegien gerecht zu werden. Ich will aber noch einmal zurückkommen auf die Zusammenarbeit mit den Schulträgern. Selbstverständlich ist uns die finanzielle Situation vieler Schulträger sehr bewusst. Dennoch ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit vor Ort häufig ausbaufähig, die schulfachliche Perspektive wird in Entscheidungsprozessen der Schulträger noch zu wenig gehört. Hier wären allgemeingültig gesetzte Standards oder die Verankerung von Prinzipien der Zusammenarbeit wünschenswert. Hinzu kommt, dass Schulen und Schulleitungen zu oft zwischen den Stühlen sitzen, weil sich Land und Kommunen gegenseitig die Verantwortung – und damit die Finanzierungsfrage – zuschieben. Hier wären zum Beispiel die Fragen der Verantwortung für Schulsozialarbeit, den Ausbau des Offenen Ganztags oder die weitere Digitalisierung schnellstmöglich zwischen Land und Kommunen zu klären. So lange sich beispielsweise Land und Kommunen darüber streiten, wer die Dienstgeräte für Lehrkräfte und pädagogisches Personal finanziert, sind die Kolleginnen und Kollegen vor Ort diejenigen, die darunter leiden – und denen ist es am Ende egal, wer finanziert: Hauptsache die Finanzierung steht.
Welche Ziele haben Sie für die zukünftige Entwicklung des Referates? Gibt es bestimmte Projekte, die Sie in den kommenden Jahren besonders vorantreiben möchten? Wie stellen Sie sich die Schulleitung der Zukunft vor? Welche Qualifikationen und Fähigkeiten werden in den nächsten Jahren besonders wichtig sein?
Wie bereits geschildert, beschäftigt uns aktuell sehr konkret die Frage nach Verbesserungen beim Thema Leitungszeit. Grundsätzlich sind wir dabei, so etwas wie ein „Berufsbild“ unseres Berufs zusammenzustellen – wie eingangs berichtet sind wir bemüht, ein gemeinsames Verständnis von Schulleitung als eigenständige Profession und Beruf der Zukunft umfassend zu skizzieren und daraus Ideen und Forderungen des VBE NRW für diesen Beruf zu entwickeln. Das Berufsbild ist extrem vielfältig. Unter dem Stichpunkt „Leitung“ sind Aspekte wie Personalführung und Personalentwicklung, Stellenbesetzung und Personalauswahl, Führung, Teamarbeit, Konfliktmanagement, das Hinwirken auf gute Arbeitsbedingungen, die Zusammenarbeit mit den Schulmitwirkungsgremien und dem Lehrerrat, aber auch Organisation, Verwaltung, Schulaufnahme und Überwachung der Schulpflicht, Datenschutz, und Schulhaushalt zu nennen. Auch Fragen der Gleichstellung, der Schwerbehinderung, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der Krisenintervention sind Leitungsaufgaben. Unter dem Stichwort „Erfüllung des Erziehungsauftrags“ sind Aspekte wie Stundenplanung, Personaleinsatz und Aufgabenverteilung, die Steuerung von Beratungen und Erörterungen zu pädagogischen und fachlichen Fragen in den Konferenzen, Lernstandserhebungen und Abschlussprüfungen, aber auch die Planung von schulischen Veranstaltungen und Projektplanung, die Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeit und Offener Ganztagsschule, die Lehrerausbildung als unsere Aufgaben zu nennen. Dritter Stichpunkt ist die „Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung“. Hierzu gehören Aspekte wie Schulentwicklung, Unterrichtsentwicklung mit schulinternem Curriculum und Teamentwicklung. Schulleitungen brauchen und haben eine Vorstellung von gutem Unterricht, von einer Lehr- und Lernkultur, von gelingender individueller Förderung, im Bereich der Medienkompetenz, usw. – und in diesem Bereich wollen Schulleitungen gemeinsam mit ihrem Team Schule zum Wohle der Kinder und Jugendlichen gestalten. Es geht hier auch um die Frage, wie wir Lernbedingungen durch organisatorische Entscheidungen verbessern und unterstützen können. Letzter Stichpunkt ist die Außenvertretung bzw. Zusammenarbeit mit Partnern. Hierzu zählen wir die Kooperation mit Schulaufsicht und Schulträger, aber auch den Erhalt und die Pflege des Schulgebäudes, Statistiken und Öffentlichkeitsarbeit. Diese Aspekte sind mit Sicherheit nicht vollständig, und doch geben Sie einen Überblick über die Vielfältigkeit unseres Berufes. Schulleitung benötigt deshalb aus meiner persönlichen Sicht vor allem Rollenklarheit und ein gesundes Selbstbewusstsein, eine hohe Kommunikationsfähigkeit, transparentes und verlässliches Handeln, Innovations- und Veränderungsbereitschaft, aber auch Managementfähigkeiten in der Prozesssteuerung wie im Verwaltungshandeln.
Starke Bildung. Starke Menschen.